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Erdgas im Winter 2014/2015: Ist die Versorgungssicherheit nach dem Stresstest gegeben?

Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Stefan Wenzel hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Axel Miesner, Karl-Heinz Bley, Dr. Max Matthiesen, Horst Schiesgeries, Martin Bäumer, Ernst-Ingolf Angermann, Dr. Hans-Joachim Deneke-Jöhrens, Ansgar Focke, Ingrid Klopp, André Bock, Helmut Dammann-Tamke, Clemens Große Macke, Frank Oesterhelweg, Ulf Thiele und Lutz Winkelmann (CDU, geantwortet.

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Die EU führte gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten, den Vertragsparteien der Energiegemeinschaft sowie Georgien, der Schweiz und der Türkei im Sommer 2014 einen sogenannten Stresstest durch. Dabei wurden die Auswirkungen möglicher Szenarien einer Unterbrechung der Gaslieferungen im Winter sowie mögliche Maßnahmen zur Bewältigung von Versorgungsengpässen modelliert. Das Szenario ging von einer Unterbrechung der russischen Gaslieferungen für einen Zeitraum von sechs Monaten und einer zweiwöchigen Kältewelle im Februar 2015 aus.

Vor dem Hintergrund, dass es innerhalb der EU keinen Spielraum gibt, die Erdgasgewinnung so zu steigern, dass eine kurzfristige Wirkung erzielt werden kann, und dass sich die EU-Mitgliedstaaten im Fall einer Unterbrechung der Gaslieferungen gegenseitig (bei den Erdgaslieferungen) solidarisch erklären und kooperieren, gibt es zumindest für Norddeutschland und damit auch für Niedersachsen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit. Die VDI-Nachrichten berichten in ihrer Ausgabe vom 24. Oktober 2014, dass „die deutschen Gasvorräte (…) privatwirtschaftlich organisierten Gashändlern (gehören). Und diese Gashändler agieren nicht nur in Deutschland; sie haben hier auch längst nicht alle ihren Unternehmenssitz.“ Weiter heißt es in dem Artikel: „Bei einem mehrmonatigen Ausfall Russlands würde es großflächige Abschaltungen von Verbrauchern geben müssen, ergibt die Modellrechnung. Dies beträfe in Deutschland den Norden, das Marktgebiet von Gaspool. Das würde mit Einschränkungen bei der Stromversorgung einhergehen, bestätigten Experten jüngst auf einer Fachtagung des Ferngasnetzbetreibers Ontras Gastransport in Leipzig. Aber erst dann hat die Bundesregierung laut dem Energiesicherungsgesetz die Möglichkeit, die kommerzielle Nutzung der Speicher zu reglementieren, bis hin zu einem Ausspeisestopp und Preisfestlegungen.“

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung die Aussagen in den VDI-Nachrichten vom 24. November 2014 zu möglichen Versorgungsengpässen bei einem mehrmonatigen Ausfall Russlands als Gaslieferant?

2. Wie bewertet die Landesregierung das Ergebnis des „EU-Stresstests“, wonach auch Norddeutschland betroffen wäre, im Hinblick auf die Antwort auf die Anfrage von CDU-Abgeordneten vom 23. Juli 2014, wonach „keine Gefährdung der Versorgungssicherheit niedersächsischer Kunden im Erdgassegment“ gesehen wird?

3. Wie schätzt die Landesregierung die Erdgasversorgung für die niedersächsischen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen sowie die Strom- und Wärmeversorgung im kommenden Winter ein?

Vorbemerkungen:

Niedersachsen hat das Ziel, langfristig seine Energieversorgung auf Erneuerbare Quellen umzustellen. Das schützt nicht nur das Klima, sondern mindert wie Energiesparen und die Steigerung der Energieeffizienz die Importabhängigkeit.

Zugleich ist Niedersachsen derzeit auf eine sichere Gasversorgung angewiesen. Die Versorgung mit Erdgas wird durch Importe, eigene Förderung sowie unterirdische Zwischenspeicherung sichergestellt. Erdgasförderung in Niedersachsen deckte 2013 zu rund 12 Prozent den deutschen Bedarf. Die niedersächsische Förderindustrie leistet damit einen wirkungsvollen Beitrag zur Sicherung der bundesweiten Energieversorgung und verringert so die Abhängigkeit von Erdgasimporten. Importe erfolgen insbesondere aus Russland, den Niederlanden und Norwegen. Aktuell decken Erdgasimporte aus Russland den deutschen Bedarf zu rund 40 Prozent.

In Deutschland steht ein Speichervolumen (Arbeitsgasvolumen) von rund 24 Mrd. Kubikmetern, davon mehr als 11 Mrd. Kubikmeter in Niedersachsen, zur Verfügung.

Für die Sicherheit der Gasversorgung sind nach Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) vorrangig die Gasversorgungsunternehmen zuständig. Nur im Krisenfall sind staatliche Eingriffe zulässig. Würde eine Unterbrechung russischer Gaslieferungen in einem Umfang erfolgen, dass daraus eine Versorgungskrise entstünde, könnte - nachdem das Bundeskabinett einen entsprechenden Beschluss gefasst hat - die Bundesnetzagentur (BNetzA) als Bundeslastverteiler tätig werden. Rechtsgrundlage hierfür bilden das EnWG, das Energie-Sicherheits-Gesetz (EnSiG) sowie die Gassicherungsverordnung (GasSV).

Wenn die Vorraussetzungen für einen solchen Krisenfall vorliegen, könnte die BNetzA als Bundeslastverteiler Verfügungen erlassen, um den lebensnotwendigen Bedarf sicherzustellen. Aber selbst im Krisenfall wäre von der BNetzA auf Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu achten und es wären marktnahe oder marktliche (Teil-)Pro­blemlösungen anzustreben.

Vor dem Hintergrund des Ukrainekonfliktes wurde im Sommer 2014 das Erdgasversorgungssystem seitens der EU und des Verbundes der Fernleitungsnetzbetreiber „ENTSOG“ Stresstests unterzogen. Dazu hat die EU-Kommission den Bericht „Über die kurzfristige Krisenfestigkeit des europäischen Gassystems“ (COM(2014) 654) vorgelegt. Die Bundesregierung hat den Bericht mit der Bundesrats-Drucksache 498/14 an die Länder weitergegeben. Das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz hat dazu auf Bitten der Fragesteller im November 2014 den Ausschuss für Umwelt, Energie und Klimaschutzes des Landtags schriftlich unterrichtet.

In den Stresstests wurden ein- und sechsmonatige Unterbrechungen der Gastransitroute durch die Ukraine resp. aller russischen Gaslieferungen in einem durchschnittlichen Winter betrachtet. Die Fernleitungsnetzbetreiber haben zusätzlich eine vierzehntägige Kältewelle am Ende der Heizperiode betrachtet, um deren Auswirkungen in einem schon belasteten System zu erfassen.

Im Focus der Betrachtungen standen die Auswirkungen auf die baltischen Staaten und Finnland sowie die Folgen für die südosteuropäischen Staaten Bulgarien, Ungarn, Kroatien, Rumänien und Griechenland. Die EU geht darauf ein, dass sich die Gasproduktion innerhalb der EU nicht kurzfristig nennenswert steigern lässt. Als nennenswerter Energieträger wird LNG (Liquefied Natural Gas; Flüssigerdgas) für den Fall von Versorgungsunterbrechung gesehen. Entsprechend hat die EU in ihrer Strategie zur Erhöhung der Versorgungssicherheit die Ausweitung der LNG-Importkapazitäten beispielsweise im Baltikum und in Polen vorgesehen. Kritisch betrachtet die EU, dass bereits 2009 vorgesehene Maßnahmen zum Ausbau der Infrastruktur nicht oder nur teilweise realisiert wurden. Auch bemängelt die Kommission, dass viele von den Mitgliedsstaaten vorgesehene Maßnahmen für den Fall einer Versorgungskrise nicht auf Kooperation ausgerichtet seien.

Die EU-Kommission empfiehlt für eine Versorgungsunterbrechung unter anderem:

  • Marktmechanismen wirken zu lassen, damit steigende Preise die Nachfrage dämpfen und LNG-Importe zunehmen.
  • Das Brennstoffwechselpotential auszuschöpfen.
  • Die Nachfrage nichtgeschützter Verbraucher zurückzufahren, um die Nachfrage geschützter Endverbraucher befriedigen zu können.
  • Kurzfristig wirksame Energieeffizienz- und Nachfragedämpfungsmaßnahmen in der Industrie und im Wohnsektor umzusetzen.
  • Die Infrastruktur auszubauen und dafür Sorge zu tragen, dass es insbesondere in der Heizperiode nicht zu Ausfällen im Versorgungsnetz kommt. Diese würde die Situation verschärfen.
  • Kooperation mit Drittstaaten, insbesondere im LNG-Sektor.

Zugleich benennt die EU in der Mitteilung erneut mittelfristige Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz des Gasversorgungssystems. Dies sind unter anderem:

  • Ausbau des Energiebinnenmarktes
  • Ausbau des Gasnetzes, transnationale Verbindungsleitungen
  • Ausbau der Reverse-Flow-Kapazitäten
  • Brennstoffumstellung
  • Umstellung von KWK auf erneuerbare Energieträger
  • Verringerung der Energienachfrage

Ergebnis der Modellierung für Deutschland ist, dass es zu Versorgungsengpässen und beherrschbaren Mindermengen kommen würde. Ausfallende russische Lieferungen würden, so die Kommission, durch zusätzlichen LNG-Import kompensiert werden. Für Deutschland könnten solche Importe über belgische und niederländische Terminals erfolgen.

Es wird zudem für einen solchen Fall mit Preiserhöhungen gerechnet. Die höheren Preise werden – so die Erwartung – zu einer bedeutenden Inanspruchnahme von Gasspeichern führen. Mit einer freiwilligen Reduzierung der Nachfrage aufgrund der Preissteigerungen wird gerechnet. Auch wird mit freiwilligen, marktbasierten und erforderlichenfalls angeordneten Brennstoffumstellungen (Heizung mit Zweitbrennstoff, Runterfahren von Gaskraftwerken) gerechnet. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass die Versorgungslücke beherrschbar sein wird.

Zudem begrüßt die Niedersächsische Landesregierung die Bemühungen der EU und der Bundesregierung um eine friedliche Lösung des Ukraine Konflikts sowie die Aktivitäten der EU um eine Lösung des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1:

Auch die Landesregierung erwartet für den Fall lang andauernder Unterbrechungen der russischen Gaslieferung Auswirkungen auf den Deutschen Gasmarkt. Sie geht zugleich davon aus, dass eine solche Lage durch Reaktionen des Gasmarktes, wie Verbrauchsreduktion aufgrund steigender Preise, zusätzliche Bereitstellung von Erdgas aus unterirdischen Speichern, Importe aus Westeuropa sowie Importe von LNG austariert werden könnten, sodass die Versorgung mit den im Krisenfall mit einem höheren Preisniveau nachgefragten Mengen sichergestellt werden kann.

Nichtsdestotrotz ist die Landesregierung bestrebt die Versorgungssicherheit der Bürgerinnen und Bürger sowie von Industrie, Gewerbe, Handwerk und Landwirtschaft weiter zu erhöhen. Sie hat deshalb den Beschluss des Bundesrates „Beitrag der Erdgasspeicher zur deutschen Energieversorgung dauerhaft sichern“ (BR-Drs. 243/14) unterstützt und die Bundesregierung unter anderem aufgefordert die Einführung einer nationalen Gasreserve außerhalb des Speichermarktes respektive die Erweiterung der Durchgriffskompetenzen der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) zur Sicherstellung saisonal erforderlicher Mindestfüllstände zu erwägen. Die Bundesregierung prüft derzeit die Möglichkeiten zur Verbesserung der Versorgungssicherheit und die Auswirkungen einer nationalen Gasreserve auf den Gasmarkt und die Versorgungssicherheit.

Zu 2:

Der Stresstest hat gezeigt, dass es für die EU insgesamt nötig ist, die Gasinfrastruktur weiter auszubauen und eine Diversifizierung der Lieferanten vorzunehmen. Zugleich ist deutlich geworden, wie wichtig es ist, langfristig die Energieversorgung auf Erneuerbare Energiequellen umzustellen, Energie zu sparen und die Energieeffizienz zu erhöhen, um die Abhängigkeit von Importen fossiler Energieträger zu reduzieren.

Zu 3:

Die Landesregierung sieht aktuell keine Gefährdung der Versorgungssicherheit.

Artikel-Informationen

erstellt am:
18.12.2014

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