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Umweltminister Wenzel stellt Bericht der Koordinierungsgruppe zur Aufarbeitung des Explosionsereignisses in Ritterhude vor

Pressemitteilung 98/2015

Der Niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel hat am Montag (heute) den Bericht der Koordinierungsgruppe (aus MI, MS und MU) für die Aufarbeitung des Explosionsereignisses bei der Firma Organo Fluid in Ritterhude im Umweltausschuss des Landtages vorgestellt.
„Die vollständige Aufklärung des Verwaltungshandelns am Ort dieses Unglücks ist für die Landesregierung eine besondere Verpflichtung. Allein aus Respekt vor dem Todesopfer, den Familienangehörigen und den materiell und seelisch geschädigten Mitbürgern in der Nachbarschaft des Industriebetriebes sei es unerlässlich, dass die Vorgänge aufgeklärt werden“, sagte der Minister.
Aber auch für die Konsequenzen hinsichtlich der verbesserten Aufsicht über die Industrieanlagen sei die konsequente Fehlerauswertung entscheidend.
Wenzel mahnte in diesem Zusammenhang erneut an, dass „es zuvorderst der Verantwortung von Firmenleitungen obliege, ihre Anlagen sicher und den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend zu betreiben.“

Die intensiven Prüfungen der Genehmigungsgrundlagen und -historie durch die Koordinierungsgruppe hätten die grundsätzlichen Hinweise und die Fehleranalyse seines ersten Berichts vor dem Landtag Anfang Februar d. J. bestätigt, sagte Wenzel. Erkennbar hätten zu diesen Fehlern auch die im Verlaufe des untersuchten Zeitraums seit 1989 teilweise sich sehr grundsätzlich ändernden Rechtslagen und Zuständigkeiten beigetragen.

Als „besonders schwerwiegend“ werden im Bericht der Koordinierungsgruppe folgende Punkte genannt:

- Änderungen an den Anlagen wurden über die Jahre vielfach ohne die erforderlichen Änderungsanzeigen der Betreiberin durch diese vollzogen.

- Das Gewerbeaufsichtsamt (GAA) Cuxhaven und die seinerzeitige Bezirksregierung Lüneburg gingen fälschlicherweise davon aus, dass nach einer Änderungsanzeige im Jahr 1998 in der Feuerungsanlage der Firma auch Fremdabfälle direkt entsorgt werden durften.

- Diesem Irrtum unterlagen auch die Niedersächsische Gesellschaft für die Endablagerung von Sonderabfall mbH (NGS) und der Entsorgungsfachbetriebs-Zertifizierer der Betreiberin. In der Folge hat die NGS die Verwertung und Beseitigung von Fremdabfällen fälschlicherweise als zulässig eingestuft.

- Das GAA Cuxhaven hat im Jahr 2003 nicht erkannt, dass die Betreiberin in einer teils widersprüchlichen Änderungsanzeige auch die Erhöhung der Feuerungswärmeleistung um den Faktor 3,5 angezeigt hat.

- Obwohl das GAA im Jahr 2012 durch Einsichtnahme in TÜV-Prüfberichte aus dem Jahr 2008 erfuhr, dass für die Thermalölanlagen die Inbetriebnahmeprüfungen fehlten, wurden keine Konsequenzen gezogen. Obwohl dem Betreiber durch ein paralleles TÜV-Gutachten sicherheitstechnisch erhebliche Mängel in diesem Anlagenteil mitgeteilt worden waren, ist nicht ersichtlich, dass der Betreiber die Mängel abgestellt hat.

Zusammenfassend stellte Umweltminister Wenzel fest: „Der lange Betrachtungszeitraum und die oft unzureichende Dokumentationspraxis vergangener Jahre haben die Prüfungen der Koordinierungsgruppe erschwert. Einzelne Sachverhalte können mit den weiterhin nur unzureichend vorliegenden Unterlagen nicht näher untersucht werden. Der Bericht der Koordinierungsgruppe enthält ausdrücklich keine Ursachenbeschreibung für das Schadensereignis. Insoweit bleiben die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abzuwarten!“

Als Konsequenzen aus den Analysen der Koordinierungsgruppe stellte der Umweltminister vor:

- Die behördliche Überwachung von Anlagen wird durch die begonnene Umsetzung der Anforderungen der Industrie-Emissionsrichtlinie (IE-RL bzw. IED) verbessert.

- Die Durchführung der Prüfungen von Anlagenänderungen wurde auf das 4-Augen-Prinzip umgestellt.

- Die Landesregierung bereitet vor, dass bei schwierigen Gemengelagen, auffällig vielen Anliegerbeschwerden oder anderen Auffälligkeiten im Überwachungsvollzug umfassendere Prüfungen durchgeführt werden.

- Der seit vielen Jahren laufenden Entwicklung der personellen und politischen Schwächung der Gewerbeaufsicht durch Aufgabenzuwächse ohne entsprechende Personalaufstockung und eine Überzeichnung der Dienstleistungsfunktion im Sinne der Industrie soll entgegengewirkt werden.

- Die geteilten Zuständigkeiten bei der Aufsicht kommen auf den Prüfstand, um Genehmigungsprozesse effektiver abzustimmen.

- Das System der Fremdüberwachung von Anlagen durch Sachverständige wird auf Schwachstellen überprüft.

Abschließend wies der Umweltminister „wiederkehrende Versuche der Opposition zurück“, der amtierenden Landesregierung oder einzelnen Staatssekretären durch unhaltbare Anschuldigungen, wertende Anfragen und Bezichtigungen eine Mitschuld für das Unglück zuzuschieben. „Es gibt keinerlei Hinweise, die auf ein Fehlverhalten aktiver Regierungsmitglieder beziehungsweise Staatssekretäre schließen lässt. Manöver, die versuchen, die Bearbeitung von ernsten Problemen politisch zu funktionalisieren, waren und sind nicht hilfreich“, sagte Wenzel.
Die politische Verantwortung für die Aufsicht über den im Zentrum der Untersuchungen stehenden Betrieb habe in den über 25 Jahren in den Händen vieler Beteiligter unterschiedlicher Parteicouleur gelegen. Die Landesregierung habe seit 2014 bereits mehr Personal in der Gewerbeaufsicht eingesetzt und lade alle Fraktionen im Landtag zur Mitarbeit bei der weiteren Verbesserung von Genehmigung und Aufsicht ein, um in Zukunft für noch mehr Schutz von Menschen und Umwelt zu sorgen.


Den Wortlaut der Unterrichtung des Ministers im Umweltausschuss finden Sie hier.
Den Bericht der Koordinierungsgruppe finden Sie hier
Weitere Infos und die bisherigen Veröffentlichungen des Umweltministeriums zum Thema Organo Fluid finden Sie hier

Artikel-Informationen

erstellt am:
11.05.2015

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