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Umweltminister Stefan Wenzel informiert über die Ergebnisse der Revision im Atomkraftwerk Grohnde

Pressemitteilung Nr. 86/2014

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Sehr geehrte Damen und Herren,

vorgestern (Mittwoch) hat der Betreiber des AKW Grohnde schriftlich mitgeteilt, dass die Arbeiten der Revision abgeschlossen seien und er alle Nachweise zur sicherheitstechnischen Unbedenklichkeit des Betriebs vorgelegt habe. Auf dieser Basis wurde das Umweltministerium um die Zustimmung zum Wiederanfahren der Anlage gebeten.

Alle vorgelegten Unterlagen sind von meinen Mitarbeitern intensiv geprüft worden. Diese Prüfung hat während der gesamten Dauer der Revision von jetzt knapp zwei Monaten als intensivierte Aufsicht stattgefunden, über die mir täglich berichtet wurde. Ich will dazu auf die wichtigsten Punkte näher eingehen.

Die Planungen des Betreibers sahen ursprünglich vor, nach dem Abfahren der Anlage am 25. April alle vorgesehenen Arbeiten, einschließlich des Brennelementwechsels bis zum 11. Mai 2014 abzuschließen. Dieser Zeitplan konnte aber nicht eingehalten werden. Grund dafür war der Generatorschaden im nicht nuklearen Teil der Anlage.

In den Pressemitteilungen des Ministeriums wurde erläutert, dass der Generator zum nichtnuklearen Teil der Anlage gehört. Vielfach wurde die Besorgnis geäußert, dass ein Generatorschaden, wenn er bei einer laufenden Anlage auftritt, Auswirkungen auf den atomrechtlich relevanten Teil der Anlage und damit auf die Sicherheit des Betriebs haben kann. Das ist aber grundsätzlich nicht der Fall, weil die Anlage für entsprechende Vorkommisse ohnehin ausgelegt sein muss. Trotzdem haben die Betreiber auf meine Bitte über den Vorgang berichtet. Zudem habe ich mir bei einem Besuch vor Ort ein Bild von dem Befund gemacht.

Parallel zu den Austauscharbeiten beim Generator wurden im nuklearen Teil der Anlage die Arbeiten fortgeführt. Im Rahmen dieser Arbeiten ist ein Fremdkörper von einem Drosselkörper aufgefunden worden. Dazu hat das Ministerium umfangreiche Prüfungen veranlasst, die jetzt abgeschlossen sind, aber auch noch Konsequenzen für die nähere Zukunft haben. Auch wenn das Ministerium die Öffentlichkeit bereits fortlaufend über Pressemitteilungen informiert hat, will ich die wichtigsten Punkte noch einmal zusammenfassend darstellen.

Der Fremdkörper wurde entdeckt, als die ordnungsgemäße Beladung des Reaktorkerns überprüft wurde. Zu diesem Zeitpunkt des Revisionsablaufes waren die Inspektionen der Kernbauteile bereits abgeschlossen und alle 193 Brennelemente für den nächsten Zyklus auf den Kernpositionen für den kommenden Zyklus positioniert. Auf 132 Brennelementen befinden sich Drosselkörper. In den weiteren 61 Brennelementen befinden sich die Steuerelemente, die in Führungsrohren zur Leistungsregulierung verfahren werden bzw. im Anforderungsfall augenblicklich in die Brennelemente einfallen, um den Reaktor schnell abzuschalten.

Die Drosselkörper drosseln den Kühlmitteldurchfluss in den nicht mit Steuerelementen bestückten Brennelementen, haben aber keine Funktion bei der Leistungsregulierung oder bei einer Schnellabschaltung.

Wegen des Fremdkörperfundes wurde eine gezielte Untersuchung aller 132 Drosselkörper mit einem speziellen Endoskop durchgeführt. Diese Endoskopie hat ergeben, dass insgesamt 9 Drosselkörper Befunde aufweisen. Acht Federn waren gebrochen, zwei davon sogar doppelt. Sie wurden gegen neue Reserveteile ausgetauscht.

Das Umweltministerium hat dem Betreiber unmittelbar nach dem Fremdkörperfund einen umfangreichen Fragenkatalog zum Befund, zu Auswirkungen von Federbrüchen, zur Ursachenermittlung, zur Übertragbarkeit auf andere vergleichbare Bauteile und nicht zuletzt zur sicherheitstechnischen Bewertung übermittelt. Zur Beantwortung der Fragen hat der Betreiber weitere Untersuchungen durchgeführt und die Ergebnisse mit entsprechenden Berichten vorgelegt, die das Ministerium eingehend geprüft hat. Dabei hat das Ministerium Herrn Prof. Dr. Erhard als externen Gutachter eingeschaltet, um übergeordnete Aspekte und einschlägige Erfahrungen aus anderen Bereichen mit in die Entscheidung einzubeziehen. Alle Unterlagen wurden der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) zugeleitet, die im Auftrag des BMUB eine sogenannte Weiterleitungsnachricht erstellt hat. Nicht zuletzt wegen der Weiterleitungsnachricht werden nun auch in den anderen Anlagen die Drosselkörper bundesweit endoskopisch untersucht werden.

Das Umweltministerium hat auch die Möglichkeit einer eigenen zusätzlichen Materialuntersuchung geprüft. Dabei hat sich herausgestellt, dass in Deutschland kein weiteres Speziallabor zur Verfügung steht, das geeignet ist, solche Untersuchungen an stark aktivierten Kernbauteilen durchzuführen. Analysen in anderen europäischen Labors kamen nicht in Betracht, weil sie extrem aufwändig und sehr langwierig gewesen wären.

Die Werkstoff-Untersuchungen in einem Speziallabor, die die Betreiberin veranlasst hat, um die Ursache zu klären, hat ergeben, dass die Federbrüche auf einen Mechanismus zurückzuführen sind, der bei diesem Werkstoff unter den im Reaktorkern vorherrschenden Randbedingungen und bei hohen Belastungen nicht auszuschließen ist. Prof. Dr. Erhard hat in seiner Stellungnahme gerade zu diesen Werkstofffragen Stellung genommen und den kurzfristigen Austausch der Drosselkörper gegen neue mit einem anderen Werkstoff noch in dieser Revision empfohlen, soweit es machbar ist.

Der Betreiber hat zunächst 9 Drosselkörper durch neue ersetzt, hat sich aber nach Vorlage des Gutachtens bereit erklärt, alle Drosselkörper bis zur nächsten Revision zu tauschen. Die Hälfte aller Drosselkörper (61) wurde bereits in dieser Revision durch neue ersetzt. Zur nächsten Revision wird die zweite Hälfte zu tauschen sein. Alle vorhandenen neuen sind jetzt eingesetzt worden. Der Betreiber hat dem Umweltministerium vorgetragen, dass seiner Meinung nach auch mit Drosselkörpern der Erstausstattung ein weiterer Betrieb zulässig ist und diese Auffassung sicherheitstechnisch begründet.

Das Umweltministerium hat diese Argumentation eingehend geprüft und dazu auch die Stellungnahmen vom TÜV und von Prof. Erhard gründlich ausgewertet. Mit Prof. Erhard habe ich diese Fragen eingehend bei einem Fachgespräch in Berlin erörtert. Im Ergebnis war festzuhalten, dass ein vollständiger Austausch noch in dieser Revision nicht verlangt werden kann.

Natürlich muss sich der Betreiber die Frage gefallen lassen, warum nicht schon eher Untersuchungen der Federn stattgefunden haben. Die Federbrüche sind nicht bei den an diesen Bauteilen vorgesehenen regelmäßigen wiederkehrenden Prüfungen festgestellt worden. Wie lange die gebrochenen Druckfedern bereits im Reaktor eingesetzt worden waren, kann heute nicht mehr mit Gewissheit bestimmt werden. Bis zu dem eher zufälligen Fund des Federbruchstücks gab es keine Vorgaben für eine aussagefähige Prüfung über den Zustand dieser Federn. Nach unserer Kenntnis ist auch in den anderen Anlagen bis zu diesem Ereignis in Grohnde bisher keine solche Prüfung durchgeführt worden. In dem vorliegenden Fall hat sich dieses als besonders ungünstig erwiesen, weil die Federn aus einer Stahllegierung, Inconel X 750, gefertigt sind, die unter den Einsatzbedingungen im Primärkreislauf des Reaktors zu interkristalliner Spannungsrisskorrosion neigt, wenn er hinreichend hohen Zugspannungen ausgesetzt ist. Dieser seit Mitte der 1980er Jahre bei Reaktordruckbehälter-Einbauten und Kernbauteilen bekannte Schädigungsmechanismus wird als „primärwasserinduzierte interkristalline Spannungsrisskorrosion“ oder mit dem englischen Fachbegriff „primary water stress corrosion cracking“ (PWSCC) bezeichnet. In den 1980er und 1990er Jahren waren in Kernkraftwerken in Deutschland bereits Schrauben und Zentrierstifte von diesem Schadensphänomen betroffen. Damals empfahl auch die Bundesregierung bei diesen Bauteilen auf einen speziell behandelten Werkstoff oder eine andere Legierung auszuweichen. Die damalige Empfehlung erstreckte sich aber nicht auf Federelemente; diese wurden seinerzeit ausgenommen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich aufgrund der beobachteten und untersuchten Schadens- und Alterungsphänomene, trotz der generellen Wirksamkeit des Alterungsmanagements bei den Atomkraftwerken in Deutschland, wie sie zum Beispiel auch von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Auftrag des Bundesumweltministeriums festgestellt wird und hier gar nicht in Abrede gestellt werden soll, doch die Frage nach der gezielten Prüfung der Wirksamkeit und der Maßnahmen zum Alterungsmanagement und zur frühzeitigen Identifikation von Schwachstellen.

Die Landesregierung wird deshalb im Herbst im Rahmen der umfassenden Sicherheitsanalyse der kerntechnischen Anlagen zu einer Sicherheitskonferenz „Alterung und Ermüdungsverhalten sowie wiederkehrende Prüfungen von Komponenten der Kernkraftwerke in der Restlaufzeit“ einladen, in dem insbesondere das Alterungsmanagement in noch laufenden Reaktoren und anderen Atomanlagen einer gezielten Analyse unterworfen wird.

Dabei werden insbesondere folgende Fragen diskutiert:

4 Reichen die bislang üblichen Prüfprogramme der Revision um Ermüdungserscheinungen, drohende Ermüdungsbrüche, Spannungsrisskorrosion, Rissbildungen, sonstige korrosions- und Abnutzungserscheinungen hinreichend frühzeitig zu erkennen?

4 Müssen Anforderungen an Austausch und Ersatz von Bau- und Anlagenteilen, die seit vielen Jahren im Einsatz sind, überdacht und neu geregelt werden?

4 Muss aufgrund der Befunde in Grohnde für weitere vergleichbare Bauteile und Werkstoffe ein vorsorglicher Austausch vor dem Ende der geplanten Nutzungsdauer in Betracht gezogen werden?

4 Welche Schlussfolgerungen können aus Werkstoffanalysen der stillgelegten Reaktoren für das Alterungsmanagement und zur frühzeitigen Identifikation von Schwachstellen bei den noch laufenden Reaktoren gezogen werden?

An dieser Sicherheitskonferenz sollen ausdrücklich auch die Betreiber, wissenschaftliche Experten, Bürgerinitiativen, der Landkreis und weitere Institutionen beteiligt werden.

Aus den aus der Sicherheitskonferenz gewonnenen Erkenntnisse können sich für Grohnde ggf. auch weitere Anforderungen zur

4 Überprüfung der Revisionsprogramme und Verdichtung bzw. Verschärfung der Prüfanforderungen in der Restlaufzeit sowie zur

4 Materialprüfung für ausgewählte Kernbauteile mit größeren Standzeiten

ergeben.

Das Umweltministerium hat sich die Anordnung entsprechender Auflagen vorbehalten und wird in seinem abschließenden Bescheid entsprechende Hinweise aufnehmen.

Im Ergebnis all unserer Prüfungen hätte das Wiederanfahren nicht verweigert werden können. Für gestern Abend konnte mit dem Abschluss der Prüfungen gerechnet werden. Die Abschlussbesprechung hat gestern stattgefunden. Die Zustimmung zum Wiederanfahren sollte im Anschluss erteilt werden.

Aufgrund eines Schreibens, das gestern im MU eingegangen ist, musste die Entscheidung, aber noch einmal zurückgestellt werden. Das Schreiben enthielt Vorwürfe zu sicherheitsrelevanten Vorkommnissen, die auch strafrechtlich von Bedeutung sein könnten, wenn die dort beschriebenen Sachverhalte zuträfen. Wir haben uns daher entschlossen, eine unverzügliche Sachverhaltsaufklärung vorzunehmen. Der Betreiber ist um Stellungnahme zu dem Vorgang gebeten worden. Die Staatsanwaltschaft ist um Prüfung möglicherweise strafrechtlich relevanter Vorgänge gebeten worden.

Ich gehe davon aus, dass kurzfristig geklärt werden kann, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht. Aufgrund der Sicherheitsrelevanz ist eine Überprüfung der Behauptung aus unserer Sicht zwingend erforderlich; die Vorwürfe können nicht im Raum stehen bleiben.

Ich gehe davon aus, dass auch der Betreiber Interesse an einer raschen und vollständigen Klärung haben muss. Vielen Dank. Für Ihre Fragen stehe ich gern zur Verfügung.

Artikel-Informationen

erstellt am:
20.06.2014

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