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Antwort auf die mündliche Anfrage: Auf welche Gutachten stützt sich das Verbot, Drachen fliegen zu lassen?

Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Stefan Wenzel hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Horst Kortlang, Dr. Gero Hocker, Jan-Christoph Oetjen, Jörg Bode, Hermann Grupe, Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner und Hillgriet Eilers (FDP) geantwortet.

Vorbemerkung der Abgeordneten

Auf die Anfrage „Soll das Kitesurfen im Wattenmeer verboten werden?“ vom 19. Februar 2016 antwortete Minister Wenzel: „Die möglichen negativen Auswirkungen des mit großen Drachen betriebenen Kitesurfens auf die im Nationalpark schutzbedürftige Vogelwelt sind fachlich unbestritten. Aus diesem Grunde besteht im Nationalpark ‚Niedersächsisches Wattenmeer‘ bereits seit Gründung des Nationalparks im Jahre 1986 ein gesetzliches Verbot, in den Ruhe- und Zwischenzonen des Schutzgebietes insbesondere zum Schutze der Vogelwelt Drachen fliegen zu lassen. Das Verbot, Drachen fliegen zu lassen, bezieht sich unterschiedslos auf Aktivitäten von Land oder vom Wasser aus.“

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Kenntnis der Störwirkung von bewegten Gegenständen, zu denen auch Drachen zählen, ist Allgemeingut, vergegenwärtigt man sich, dass bestimmte Scheucheffekte von je her genutzt werden, um z.B. die landwirtschaftliche Produktion vor Fraßverlusten durch Vögel zu schützen. Die Störwirkung des Kitesurfens setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen, von denen der zur Fortbewegung des Surfers genutzte Drachen, von dem optische und auch akustische Störreize auf die Tierwelt ausgehen, einen wesentlichen Anteil hat. Im Falle nicht ortsfester Drachen ist zudem davon auszugehen, dass Scheucheffekte durch fehlende Gewöhnung wiederum verstärkt auftreten. Diese Zusammenhänge sind in zahlreichen Studien untersucht und bewertet worden, wobei sich ein Teil solcher Untersuchungen konkret mit dem Drachensteigenlassen auseinandersetzen, ein anderer Teil die Auswirkungen auf die Tierwelt durch Freizeitaktivitäten generell beleuchtet.

Ein aktueller Überblick über Studien, die die Störwirkung des Kitesurfens untersuchen und bewerten, findet sich in der Stellungnahme der Staatlichen Vogelschutzwarte, „Zur Auswirkung von Kitesurfen auf Wasser- und Watvögel – eine Übersicht“, 2016 (zur Veröffentlichung vorgesehen im Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN)). Hierin werden, unterteilt nach unterschiedlichen Lebensräumen, in denen die Untersuchungen stattfanden, die jeweiligen Ziele der Studien bzw. die Aufgabenstellungen umrissen, die im Fokus des Interesses stehenden Arten oder Artengruppen als Rast-, Brut- und/oder Zugvögel benannt, Art und Umfang der Untersuchung kurz skizziert, die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und schließlich die von den Verfassern daraus für das jeweilige Gebiet gezogenen Schlüsse wiedergeben. Im Ergebnis wird belegt, dass eine ungeregelte Ausübung des Kitesurfens den Erhaltungszustand der jeweiligen Vogellebensräume sowie die darin vorkommenden Arten erheblich beeinträchtigen würde. Diese Aussagen belegen die Störwirkung des Kitesurfens und damit auch die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung aus dem Jahre 1986.

1. Auf welche konkreten Gutachten oder Untersuchungen stützt sich das Verbot, Drachen fliegen zu lassen?

Siehe Vorbemerkung.

2. Wurden diese Gutachten oder Untersuchungen bereits 1986 oder früher erstellt?

Speziell zur Bewertung der negativen Auswirkungen von Drachen wurden nach Kenntnis der Landesregierung im Vorfeld der Rechtssetzungen für den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ keine Gutachten oder Untersuchungen durch die damaligen Entscheidungsträger erstellt, die sich mit den negativen Auswirkungen von Drachen im Gebiet des Nationalparks auseinandersetzen. Das Verbot, in den Ruhe- und Zwischenzonen des Schutzgebietes wild lebende Tiere zu stören und dort Drachen fliegen zu lassen, war und ist aber zum Schutze der Vogelwelt aufgrund von allgemein anerkannten Erfahrungswerten und im Übrigen auch aufgrund von Vorsorgeaspekten berechtigt.

3. In welcher Weise stören oder gefährden Drachen schutzbedürftige Vögel konkret?

Vom Steigen lassen eines Drachen, ob als herkömmlicher Drachen oder in Verbindung mit dem Kitesurfen, geht in bestimmten Situationen und auf konkreten Flächen eine Störung und nachfolgend eine Beeinträchtigung von Vögeln aus. Dies betrifft Brut- ebenso wie Rastvögel.

Fortgesetzte bzw. wiederholte Störungen dieser Art an Rastplätzen oder bei der Nahrungsaufnahme von Vögeln sind von großer Tragweite, da sie langfristige Folgen für die Populationen der Arten haben. Störungen zwingen Vögel durch die Ausweich- oder Fluchtbewegungen, Energie zu verbrauchen und Fettdepots vorzeitig abzubauen. Die Fettreserven sind erforderlich, um den Zug ins Winterquartier und von dort wieder zurück in das Brutgebiet absolvieren zu können. Kommen die Vögel in schlechter Körperkondition im Brutgebiet an, ist es ihnen u. U. nicht mehr möglich, zur Brut zu schreiten oder erfolgreich Junge aufzuziehen. Reduzierte Nahrungsaufnahme und zunehmende Störungen entlang des Zugwegs und in den Überwinterungsgebieten wirken sich zeitversetzt so bis noch in die ggf. weiter entfernt liegenden Brutgebiete negativ aus.

Auch bei hiesigen Brutvögeln verursachen Störreize durch Drachen häufiges Auffliegen. Dadurch kommt es beispielsweise zu Brutunterbrechungen u. U. mit der Folge erhöhter Prädationsgefahr sowie zu stark schwankenden thermischen Belastungen („Thermostress") der Gelege und der zu hudernden Jungvögel oder zur Gelegeaufgabe.

Die Staatliche Vogelschutzwarte folgert daher in ihrer aktuellen Publikation: Die (…) Ergebnisse von Untersuchungen über die Störwirkung von Kitesurfen ergeben ein klares Erfordernis für den Schutz von Lebensräumen für Wasser- und Watvögel vor Kitesurfen. Durch die Daten ist belegt, dass eine ungeregelte Ausübung des Kitesurfens den Erhaltungszustand der jeweiligen Vogellebensräume sowie der darin vorkommenden Arten und Lebensgemeinschaften erheblich beeinträchtigen würde. Folgerichtig ist das Kitesurfen vielerorts bereits gänzlich untersagt oder auf bestimmte Zonen begrenzt, für die weitere Vorgaben die Ausübung steuern. Aus naturschutzfachlicher Sicht ist dies ein unabdingbares Erfordernis, insbesondere in Küstenlebensräumen.

Artikel-Informationen

erstellt am:
10.03.2016

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