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Sind die Belastungen durch Wildgänse für Weidetierhaltung und Küstenschutz noch tragbar?

Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Olaf Lies hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Hillgriet Eilers, Dr. Stefan Birkner, Hermann Grupe, Horst Kortlang, Jörg Bode und Dr. Marco Genthe (FDP) geantwortet.

Vorbemerkung der Abgeordneten

Die Ostfriesen-Zeitung berichtete am 28. März 2018 über die zunehmende Gefährdung der Weidetierhaltung und des Küstenschutzes durch Wildgänse (Seite 13). „Sie fressen den Schafen im Frühjahr das Futter weg“, erklärt Oberdeichrichter Heiko Albers von der Moormerländer Sielacht ein durch die Wildgänse verursachtes Problem für die zum Zweck des Küstenschutzes betriebene Schafhaltung auf den Deichen. Darüber hinaus verunreinigten die Gänse mit ihrem Kot das Gras auf den Deichen, das sie nicht fressen. Das mit Keimen belastete Futter mache die Schafe krank. Unter diesen Bedingungen werde es in Zukunft immer schwerer, die Schäfer davon zu überzeugen, ihre Tiere auf den Deichen weiden zu lassen. Um die negativen Auswirkungen auf die Tiere in Grenzen zu halten, übernehme die Moormerländer Sielacht für die 2 000 Schafe in ihrem Gebiet Impfkosten in Höhe von 2,50 Euro pro Tier. Die Impfung solle die Tiere gegen die Keime im Gänsekot immun machen, halte allerdings nur vier Wochen vor. Laut Oberdeichrichter Alwin Brinkmann von der Deichacht Krummhörn seien es in den vergangenen Jahren „enorm viel mehr“ Gänse geworden, weshalb sein Verband u. a. Hilfe bei der Ersatzfutterbeschaffung für die Schafe leiste.

Vorbemerkung der Landesregierung

Niedersachsen besitzt für zahlreiche hier überwinternde nordische Gänsearten eine internationale Verantwortung und damit einhergehend auch entsprechende Schutzverpflichtungen. Um letzteren gerecht zu werden, hat Niedersachsen insgesamt 16 EU-Vogelschutzgebiete mit einer Fläche von ca. 125.000 ha (hier: ohne EU-Vogelschutzgebiet Niedersächsisches Wattenmeer) gemeldet, in denen Gänsearten wertbestimmend sind. In den Hauptrastgebieten der nordischen Gänse bietet das Land Niedersachsen seit dem Jahr 2000 mit Unterstützung der Europäischen Union Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen (AUKM) an. Diese verfolgen das naturschutzfachliche Ziel, ruhige, störungsarme Äsungsflächen für die überwinternden Gänse zur Verfügung zu stellen. Landwirte, die sich an den AUKM für nordische Gastvögel beteiligen, erhalten für eintretende Biomasseverluste und den entstehenden Mehraufwand in der Flächenbearbeitung einen finanziellen Ausgleich. Die AUKM für nordische Gastvögel erfreuen sich großer Beliebtheit: Derzeit werden landesweit ca. 25.000 ha Acker- und Grünlandflächen mit AUKM für nordische Gänse bewirtschaftet. Dafür wendet das Land Niedersachsen mit Unterstützung der Europäischen Union (EU) derzeit einen Finanzbetrag von ca. 7,0 Mio. Euro auf.

Der Landesregierung liegen weder Belege für eine nachhaltige Beeinträchtigung der Wehrhaftigkeit von Deichen durch rastende nordische Gänse noch für einen kausalen Zusammenhang zwischen Gänsekot und Schaferkrankungen im ostfriesischen Raum vor.

1. Wie bewertet die Landesregierung die im Artikel der Ostfriesen-Zeitung beschriebenen negativen Auswirkungen der zunehmenden Wildgänsepopulation auf die Weidetierhaltung, auch über die Beweidung von Deichen hinaus, und den Küstenschutz in Niedersachsen?

Konflikte der Landwirtschaft mit überwinternden nordischen Gänsen resultieren im Wesentlichen aus dem Verlust an Biomasse durch Gänsefraß und einem erhöhten Aufwand bei der Flächenbewirtschaftung. Dazu hat die Landwirtschaftskammer in den Hauptgebieten der Gänserast in den Jahren 2008 – 2010 umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. Danach treten im Mittel beim ersten Grasschnitt Biomasseverluste von ca. 30 % auf. Beim zweiten Schnitt waren keine signifikanten Unterschiede zwischen von Gänsen beweideten Arealen und unbeweideten Kontrollarealen mehr nachweisbar. Momentan werden die Untersuchungen wiederholt, um zu überprüfen, ob sich der Umfang der Gänsefraßschäden seit 2010 verändert hat. Die Untersuchungen der Landwirtschaftskammer bilden die Grundlage für die Berechnung der Ausgleichszahlungen an Landwirte, die an den AUKM für nordische Gastvögel teilnehmen (s.o.).

Der Landesregierung liegen bis dato keine Belege für eine Gefährdung der Weidetierhaltung durch Gänsekot vor. Nach einer aktuellen Literaturübersicht von Elmberg et al. (2017; Infection Ecology & Epidemiology Vol. 7) gibt es bislang kaum Belege für eine Übertragung von Krankheitserregern rastender Gänse auf Weidetiere. Die Autoren sehen daher auch keine Notwendigkeit von einer Weidetierhaltung in Schutzgebieten mit Vorkommen von Gänsen und Schwänen abzuraten.

Grundsätzlich ist es möglich, dass mit dem Kot von Tieren auch Krankheitserreger ausgeschieden werden, die zu einer Erkrankung bei anderen Tierarten führen können. Dem zuständigen Veterinäramt des Landkreises Leer liegen derzeit aber keine Erkenntnisse vor, dass Wildganskot auf Krankheitserreger untersucht wurde und ein nachweislicher Zusammenhang zu Erkrankungen von Weidetieren hergestellt werden konnte.

Es konnte in Erfahrung gebracht werden, dass ein Schafhalter vermehrt Verluste durch Erkrankungen an Kokzidien beklagt und hier die Gänse als Ursache sieht. Kokzidien sind Einzeller (Parasiten, die sich im Darm ansiedeln), welche sehr wirtsspezifisch sind. Daher ist eine Erkrankung von Schafen auf Grund der Darmparasiten der Gänse auszuschließen.

Der Verlauf der Krankheit beim Schaf hängt von der Erregerspezies, der Infektionsdosis und der Kondition des Tieres ab. Es kann dabei zu schweren Durchfällen, Blutungen, Fressunlust, Resorptionsstörungen sowie zum Gewichtsverlust bis hin zum Tod, v. a. bei Lämmern, kommen. Die neugeborenen Lämmer sowie die nur wenige Wochen alten Tiere sind besonders gefährdet. Die sog. Oozysten, die aufgenommen zu der Erkrankung führen können, sind sehr widerstandsfähig und können auch auf den Weideflächen überwintern. Auch die Ablammzeit im Stall, in der eine Vielzahl von Lämmern hohe Mengen an Kokzidien ausscheiden, trägt stark zu Weiterverbreitung der Parasiten bei, welcher man durch Hygienemaßnahmen begegnen kann. Darüber hinaus kann die Krankheit mit dem Arzneimittel Toltrazuril behandelt werden. Es handelt sich aber nicht um einen Impfstoff.

Aus Sicht des Küstenschutzes erschwert die zunehmende Wildgänsepopulation die Deichunterhaltung vor allem dadurch, dass sie zu wirtschaftlichen Nachteilen für die nach Deichrecht betroffenen Unterhaltungspflichtigen und die Deichschäfereien führt: Für die Schafbeweidung stellen die Gänse in den besonders betroffenen Bereichen eine ernstzunehmende Konkurrenz dar. Die Grasnarbe kann durch den Gänsefraß stark in Mitleidenschaft gezogen werden. In der Folge können die betroffenen Deichabschnitte mangels Futtergrundlage erst später im Jahr durch die Schafe beweidet werden und die Gabe von Ersatzfutter wird erforderlich. Zudem begünstigt der Fraßdruck, den die Gänse auf die Grasnarbe ausüben, die Ausbreitung von Moos, dem durch gezielte Düngung entgegengewirkt werden kann. Unschöne Folge der Fäkalienverschmutzung durch die Gänse ist ferner, dass die Mahd besonders betroffener Deichabschnitte nicht für den Verkauf geeignet ist. Letztere Aussage betrifft ausschließlich die nicht durch Beweidung sondern allein durch Mahd unterhaltenen Deichabschnitte.

Eine nachhaltige Beeinträchtigung der Wehrfähigkeit der Deiche durch die zunehmenden Wildgänsepopulationen ist hingegen bislang nicht festgestellt worden.

2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Entwicklung der Population der nordischen Gastvögel und gegebenenfalls beobachtete Änderungen bei deren Verweildauer in Niedersachsen in den letzten 20 Jahren?

Als nordische Gastvögel treten während der Zug- und Rastperiode verschiedene Gänsearten in Niedersachsen auf, darunter Blässgänse, Saatgänse, Weißwangengänse (auch Nonnengänse genannt), Graugänse und Ringelgänse. Die Individuenzahlen und die Verweildauer rastender Gänsetrupps sind dabei von einer Vielzahl an Faktoren abhängig. Sie unterscheiden sich maßgeblich nach (a) Vogelart, (b) Ernährungssituation, (c) Habitatbedingungen im Rastgebiet wie dem Nahrungsangebot, aber auch z.B. dem Auftreten von Störungen, (d) intra- und interspezifischen Konkurrenzsituationen, (e) Witterungsverläufen u.v.m. – um nur die wichtigsten Faktoren zu nennen. Dadurch sind die an der Küste und im Binnenland anzutreffenden Rastpopulationen Schwankungen ausgesetzt, die sowohl zeitliche als auch räumliche Unterschiede im Auftreten bedingen.

Das Land Niedersachsen hat seit 2015 die Erfassungen nordischer Gänse während der Rastperiode landesweit intensiviert. In allen bedeutsamen Regionen der Gänserast finden seither wöchentliche Zählungen zwischen Oktober und April, teilweise sogar bis Mitte Mai, statt. Aus manchen Rastgebieten, wie z.B. dem Rheiderland oder der Unterelbe, liegen auch deutlich längere Untersuchungsreihen vor, mit denen Bestände und Veränderungen im Rastgeschehen dokumentiert werden können. Das in der Rastperiode 2015/16 begonnene Gänsemonitoring befindet sich derzeit in der Auswertung durch die Fachbehörde für Naturschutz.

Es zeichnet sich ab, dass sich die Entwicklung der Rastpopulationen nordischer Gänse keineswegs artübergreifend einheitlich darstellt, sondern vielmehr heterogen ist. Dies soll durch die nachfolgenden Beispiele illustriert werden: Während etwa in den Regionen Westermarsch und Krummhörn die Rastbestände von Grau- und Ringelgänsen innerhalb der letzten 20 Jahre zurückgegangen sind, haben Weißwangengänse dort erheblich zugenommen. Sie erreichen oder übertreffen allerdings nicht mehr die bisherigen Maximalwerte aus den Jahren 2005 bis 2007. Auch Blässgänse sind dort tendenziell häufiger geworden, während anderenorts (z.B. im Rheiderland, in der Emsmarsch und in den Marschen am Jadebusen) über einen Zeitraum von 20 Jahren betrachtet Abnahmen zu verzeichnen sind. Eine deutliche Zunahme rastender Weißwangengänse seit Ende der 1990er Jahre ist inzwischen für die meisten Gänserastgebiete Niedersachsens belegt.

Hinsichtlich der jahreszeitlichen Verteilung rastender nordischer Gänse ergibt sich über alle Arten hinweg folgendes Bild: Hohe Rastbestände treten besonders gegen Ende des Jahres (November, Dezember) auf. Danach nehmen zum Jahresbeginn die Rastbestände deutlich ab. Etwa Ende Januar folgt mit einer weiteren Durchzugswelle ein erneuter Anstieg der Bestände. Ab Mitte/Ende März ziehen die nordischen Gastvögel langsam in Richtung der Brutgebiete ab. Am längsten – wenngleich in deutlich geringerer Anzahl als in den Vormonaten - können Weißwangengänse in den Rastgebieten beobachtet werden, teilweise bis Mitte Mai. Insgesamt ist das Durchzugs- und Rastgeschehen auf dem Wegzug im Herbst ausgeprägter als auf dem Heimzug im Frühjahr.

Sofern unter Verweildauer das jahreszeitliche Auftreten gemeint ist, zeigt sich, dass Weißwangengänse bereits vor etwa 20 Jahren damit begonnen haben, länger in den hiesigen Rastgebieten zu verweilen, wodurch sie in Niedersachsen aktuell bis Mitte Mai nachgewiesen werden können (s.o.). Bei allen anderen nordischen Gänsen lassen sich bisher keine längeren Aufenthaltszeiten nachweisen.

3. Was unternimmt die Landesregierung bzw. was wird sie in Zukunft unternehmen, um negative Auswirkungen der zunehmenden Wildgänsepopulation auf die Weidetierhaltung, auch über die Beweidung von Deichen hinaus, und den Küstenschutz in Niedersachsen zu verhindern?

Wie bereits erwähnt stellen der durch nordische Gänse verursachte Biomasseentzug und der erhöhte Arbeitsaufwand bei der Flächenbearbeitung die wesentlichen Konfliktpunkte in Bezug auf die landwirtschaftliche Nutzung von Grünlandflächen dar. Das Land Niedersachsen bietet mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union AUKM in den Hauptgebieten der Gänserast an. Landwirte, die sich an den AUKM für nordische Gastvögel beteiligen, erhalten für eintretende Biomasseverluste und den entstehenden Mehraufwand in der Flächenbearbeitung einen finanziellen Ausgleich. Da die Rahmenbedingungen der EU für die neue Förderperiode 2021 – 2027 bislang nicht bekannt sind, kann über die Fortführung der AUKM für nordische Gänse über die jetzige EU-Förderperiode hinaus noch keine Auskunft geben werden.

Neben den AUKM für nordische Gastvögel praktiziert Niedersachsen derzeit in den Hauptgebieten der Gästerast das sogenannte Rastspitzenmodell auf Ackerflächen. Es kommt dann zum Einsatz, wenn durch überwinternde Gänse Großschadensereignisse eintreten, die weit über den Zahlungen der AUKM liegen. Zur Fortführung des Rastspitzenmodells auf Acker wird aktuell eine Billigkeitsrichtlinie erarbeitet. Ohne eine solche von der EU zu notifizierende Billigkeitsrichtlinie sind Auszahlungen an Landwirte nur auf Basis der sogenannten De-minimis-Regelung gemäß VO (EU) Nr. 1408 möglich (hier: max. 15.000 Euro in drei Jahren an betroffene Landwirte), da die Gelder nicht aus einem von der EU gebilligten Förderprogramm stammen. Um in Zukunft ggf. auch im Grünlandbereich durch Gänse verursachte Großschadensereignisse finanziell abpuffern zu können, hat das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz die Fachbehörde für Naturschutz beauftragt, auch für den Grünlandbereich ein solches Rastspitzenmodell entwickeln zu lassen.

Das Kokzidioseproblem des o.g. Schafhalters ist nicht auf die Gänse zurückzuführen. Es handelt sich um eine parasitäre Erkrankung, der durch Hygienemaßnahmen und Arzneimittelbehandlung begegnet werden kann. Es handelt sich weder um eine anzeige- noch um eine meldepflichtige Tierseuche.

Der ordnungsgemäße Zustand der Deiche wird durch die jährlich regelmäßig durchzuführenden Deichschauen gewährleistet.

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