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Sind die niedersächsischen Oberflächengewässer in einem schlechten Zustand?

Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Olaf Lies hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe, Dr. Stefan Birkner und Horst Kortlang (FDP) geantwortet.


Vorbemerkung der Abgeordneten

Am 28. März 2018 hat Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast den „Nährstoffbericht für Niedersachsen 2016/17“ vorgestellt. Darin heißt es, spätestens 2027 sollten die Oberflächengewässer laut Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) einen guten ökologischen und chemischen Zustand aufweisen (Seite 47). „Derzeit (2017) ist dieses Umweltziel in Niedersachsen lediglich bei 2 % der zu betrachtenden Fließgewässer erreicht. (…) Dies beruht insbesondere auf der nahezu flächendeckenden Belastung mit Nährstoffen (Stickstoff und Phosphor)“, wird berichtet.

Laut Nordkurier vom 4. April 2018 sei der Grund für die schlechte Beurteilung der Oberflächengewässer laut WRRL nicht die Qualität des Wassers, die immer besser werde, sondern die völlig praxisfremde EU-Bewertung (https://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/neuer-oeko-alarm-ist-reine-utopie-0431676504.html, Abrufdatum: 9. April 2018). Die WRRL definiere, wann sich ein Gewässer in einem guten oder sehr guten Zustand befinde. „Dieser Zustand ist aber rein hypothetisch, und in der Realität wird es ihn nie geben“, sagt Jens Uhthoff, Geschäftsführer des Wasser- und Bodenverbandes Untere Peene. Bestimmte Kriterien, etwa die Begradigung von Gewässern oder das Vorhandensein von Schleusen, ließen sich heute nicht mehr verändern.

Vorbemerkung der Landesregierung

Mit der Verabschiedung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wurden im Jahr 2000 europaweit Standards zum Schutz der Gewässer festgelegt. Die Einträge von prioritären Schadstoffen und organischen Belastungen sollen schrittweise reduziert und die oberirdischen Gewässer mit einer stabilen charakteristischen Tier- und Pflanzenwelt entwickelt werden.

Die WRRL gibt vor, die Gewässer in ihrer Funktion als Lebensraum zu bewerten. Wurde vor Inkrafttreten der WRRL die biologische Gewässergüte über den Saprobienindex (Bewertung der Wasserqualität von Fließgewässern anhand der Intensität der organischen Belastung) bestimmt, ist jetzt die jeweils gewässertypische Zusammensetzung der Tier- und Pflanzenwelt das ausschlaggebende Bewertungskriterium. Fische, wirbellose Kleintiere, im Wasser freischwebende Algen und höhere Wasserpflanzen – die sogenannten biologischen Qualitätskomponenten– sind als Indikatoren für die Bewertung des Zustands der Gewässer heranzuziehen. Unterstützend dazu werden auch allgemeine physikalisch-chemische Parameter, zum Beispiel Wassertemperatur, Sauerstoffgehalt, Nährstoffe oder verschiedene Schadstoffe und hydromorphologische Parameter, zum Beispiel die ökologische Durchgängigkeit eines Gewässers, bewertet.

Dabei zieht die WRRL mit in Betracht, dass Oberflächengewässer vielfältigen Nutzungen unterliegen. Viele oberirdische Gewässer in Deutschland und auch in Niedersachsen sind seit vielen Jahrzehnten Teil der Kulturlandschaft und dienen verschiedenen Nutzungen, zum Beispiel der Entwässerung von landwirtschaftlichen Flächen, sind zum Zweck des Hochwasserschutzes eingedeicht oder Teil urbaner Räume. Bei Wasserkörpern, bei denen die zum Erreichen eines guten ökologischen Zustands erforderlichen hydromorphologischen Maßnahmen signifikante negative Auswirkungen auf die o.g. Nutzungen hätten ist hier das gute ökologische Potenzial statt des guten ökologischen Zustands Zielvorgabe. Das bedeutet, dass hier eine weniger differenzierte Artenzusammensetzung erwartet wird, da durch die Nutzung die Entwicklungsfähigkeit und die Umsetzung von Maßnahmen eingeschränkt werden.

Die rechtlichen Grundlagen für die Bewertung des ökologischen Zustands beziehungsweise des ökologischen Potenzials sind in der Oberflächengewässerverordnung (OGewV vom 20.06.2016, BGBl. Teil I Nr. 28, S. 1373) definiert. Die Bewertung erfolgt mittels einer vier bis fünfstufigen Skala von sehr gut/gut bis schlecht. Die Bewertung erfolgt nach dem „worst-case“-Prinzip. Wenn nur eine der biologischen Qualitätskomponenten den guten Zustand oder das gute Potenzial nicht erreicht, verfehlt der Wasserkörper insgesamt den guten ökologischen Zustand oder das gute ökologische Potenzial.

Für die chemische Bewertung sind EU-weit ökotoxikologisch abgeleitete Grenzwerte der Maßstab. Ziel ist es, die aquatische Umwelt vor dem Eintrag von Schadstoffen zu schützen und zu verhindern, dass sich Schadstoffe in der Nahrungskette anreichern. Die Europäische Kommission bestimmt eine Liste mit prioritären Schadstoffen und ihren ökotoxikologisch abgeleiteten Umweltqualitätsnormen. Die festgelegten Umweltqualitätsnormen dürfen im Gewässer nicht überschritten werden. Auch bei der chemischen Bewertung wird das „worst-case“ Prinzip angewendet. Wenn ein Stoff von der Liste der 45 Stoffe und Stoffgruppen die festgesetzte Umweltqualitätsnorm überschreitet, ist das Oberflächengewässer in einem nicht guten chemischen Zustand. Die Liste der prioritären Stoffe wird alle vier Jahre in einem Diskurs zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedsstaaten überprüft. 2013 hat die Europäische Kommission die Liste der prioritären Stoffe sowie für bestehende Stoffe die Umweltqualitätsnormen überarbeitet. Die prioritären Stoffe stammen aus den verschiedensten Anwendungsbereichen, zum Beispiel aus industriellen Verbrennungs- und Produktionsprozessen sowie aus dem Einsatz in der Landwirtschaft. Auch verschiedene Schwermetalle gehören zu den prioritären Stoffen. Noch nicht Teil der aktuellen chemischen Bewertung, aber in der Diskussion, sind Spurenstoffe wie z.B. Arzneimittel. Gerade bei Stoffen, deren Anwendung zwischenzeitlich verboten wurde, können immer noch Einträge auch aus belasteten Sedimenten erfolgen. Viele andere prioritäre Stoffe werden über diffuse Quellen oder atmosphärische Einträge in die Gewässer eingetragen. Punktuelle Einträge sind die Ausnahme, da die Abwasseraufbereitungsanlagen bereits über einen hohen technischen Standard verfügen. Als Grundlage für die Bewertung des chemischen Zustands der Oberflächengewässer sind ebenfalls die Vorgaben der OGewV maßgebend. Die Belastung der Oberflächengewässer mit Schadstoffen ist eine der wichtigen Wasserbewirtschaftungsfragen in Niedersachsen.

Belastungen durch Nährstoffe, die aus diffusen Quellen stammen, sind eines der Hauptprobleme in den Fließgewässern, Seen sowie den Übergangs- und Küstengewässern. Die Folge sind Eutrophierungserscheinungen, wie vermehrtes Pflanzenwachstum (Verkrautung) und Algenblüten, verbunden mit Sauerstoffmangel. Sie sind in allen Flussgebietseinheiten mit Anteilen Niedersachsens wiederholt eine wichtige Wasserbewirtschaftungsfrage. Nähr- und Schadstoffbelastungen sind überregionale Probleme, zu deren Lösung länderübergreifende Zusammenhänge betrachtet werden müssen.

Neben der WRRL existieren auf europäischer Ebene weitere Richtlinien, in denen unterschiedliche Aspekte des Gewässerschutzes integriert sind. Sie bzw. deren Umsetzung werden in der WRRL zum Teil als sogenannte grundlegende Maßnahmen verstanden. Die europäische Nitratrichtlinie, die in Deutschland durch die Düngeverordnung des Bundes umgesetzt wird, ist ein wesentlicher Baustein zur gesetzlich geforderten WRRL-Zielerreichung.

Bei der Verabschiedung der Richtlinie im Jahr 2000 war die Vorstellung, dass diese Ziele mit der zweimaligen Option der Fristverlängerung bis spätestens 2027 erreicht werden könnten. Die Ziele der WRRL zu erreichen, ist unbestritten eine große Herausforderung an die Wasserwirtschaft und die Wassernutzer in ganz Europa.

Damit diese umfangreicher als bisher erreicht und Maßnahmen gezielter geplant werden können, sind die Maßnahmen noch stärker auf die konkreten Belastungen des einzelnen Gewässers auszurichten. Eine Säule, auf der die Umsetzung des Maßnahmenprogramms beruht, ist insbesondere die konsequente Umsetzung der grundlegenden Maßnahmen.

1. Wie wird die Zielerreichung der zur Bewertung des chemischen sowie ökologischen Zustands von Oberflächengewässern gemäß WRRL jeweils herangezogenen Kriterien bezogen auf die niedersächsischen Oberflächengewässer bewertet?

Die aktuelle Zustandsbewertung der Oberflächengewässer zeigt, dass auch sechs Jahre nach Vorlage des ersten Bewirtschaftungsplans nur sehr wenige Wasserkörper die Umweltziele erreicht haben. Die Mehrzahl der niedersächsischen Fließgewässer verpasst die Ziele der WRRL. Insgesamt konnte nur für etwa 2 % der 1.562 Fließgewässerwasserkörper in Niedersachsen ein guter ökologischer Zustand oder ein gutes ökologisches Potenzial ermittelt werden.

Bei den Übergangs- und Küstengewässern konnte für keinen Wasserkörper ein guter ökologischer Zustand oder ein gutes ökologisches Potenzial festgestellt werden.

Von den 27 stehenden Gewässern befindet sich nur ein natürlicher See, das Ewige Meer, in einem guten ökologischen Zustand. Acht erheblich veränderte oder künstliche Seen befinden sich in einem guten ökologischen Potenzial. Die restlichen 18 stehenden Gewässer haben die Ziele der WRRL nicht erreicht.

Die Gründe für die Zielverfehlung werden über die wichtigen Wasserbewirtschaftungsfragen und die Überprüfung der Belastungen ebenfalls alle sechs Jahre hinterfragt und aktualisiert. Auch mit Vorlage des zweiten Bewirtschaftungsplans haben sich wiederholt die seit langem bekannten Probleme gezeigt, dass morphologische Veränderungen inklusive Abflussregulierungen und Nährstoffeinträge aus diffusen landwirtschaftlichen Quellen weiterhin einer Zielerreichung entgegenstehen und ohne verstärkte Anstrengungen nicht reduziert werden können.

So zeigen beispielsweise die Auswertungen der Daten des Gewässerüberwachungssystem Niedersachsen (GÜN) im Rahmen der Defizitanalyse, dass im Zeitraum 2008 bis 2011 bezogen auf Gesamtstickstoff nur 20% und bezogen auf Gesamtphosphor nur etwa 29% der Messstellen in Flüssen und Bächen die Zielwerte erreichen.

2. Teilt die Landesregierung die Feststellung aus dem Nährstoffbericht, dass der Umstand, dass der gute Zustand bei lediglich 2 % der zu betrachtenden niedersächsischen Fließgewässer erreicht sei, insbesondere auf der nahezu flächendeckenden Belastung mit Nährstoffen (Stickstoff und Phosphor) beruhe?

Ja, s.a. Vorbemerkungen und Antwort zu Frage 1

3. Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen bei der Zustandsbewertung von Oberflächengewässern gemäß WRRL vor dem Hintergrund des Artikels des Nordkuriers?

Das Vorgehen der Zustandsbewertung erfolgt entsprechend der EU-rechtlichen Vorgaben, die nicht nur den chemischen Zustand, sondern das Gewässer als Lebensraum als Bewertungsmaßstab festlegen, hierbei aber die Nutzung der Gewässer mit in Betracht ziehen. Die Bewertungsverfahren und die Festlegung der Grenzwerte der ökologischen Qualitätskomponenten für die verschiedenen Gewässertypen sind wissenschaftlich abgeleitet, die Bewertungssysteme und –verfahren der Mitgliedsstaaten wurden gemäß der Richtlinie interkalibriert und von der EU-Kommission beschlossen. Die so im Diskurs der EU-Kommission mit den Mitgliedsstaaten entwickelten Kriterien zur Zustandsbewertung der Ökologie sowie der Chemie sind für alle EU-Mitgliedsstaaten rechtlich verbindlich. Vor diesem Hintergrund teilt die Landesregierung die im Nordkurier wiedergegebene Ansicht, die EU-Bewertung sei völlig praxisfremd, nicht.

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