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Herdenschutz

Seit Anbeginn der Nutztierhaltung, d. h. seit der mittleren Steinzeit, schützt sich der Mensch sein Vieh vor Raubtierübergriffen. Um das wertvolle Weidevieh zu schützen, wurden Wölfe bejagt und die Nutztiere konsequent durch Menschen sowie Herdenschutzhunde behütet und über Nacht eingepfercht. Aufgrund der Ausrottung der Wölfe in Mittel- und Westeuropa vor knapp 150 Jahren hat sich die Weidetierhaltung stark verändert. Durch die Abwesenheit großer Beutegreifer war die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen nicht mehr gegeben, weshalb Weidetiere von der Küste bis in die Alpen letztlich ungeschützt weiden und meist lediglich ausbruchssicher eingezäunt sind. Die gewünschte Rückkehr der großen Beutegreifer erfordert daher Anpassungen.

Warum greifen Wölfe Weidetiere an und wie können wir sie daran hindern?

Wie Nahrungsanalysen zeigen, erbeuten Wölfe insbesondere Rehe, Rothirsche und Wildschweine. Diese drei Huftierarten machen zusammen mehr als 90 % der verzehrten Biomasse aus. Wölfe jagen allerdings selektiv und suchen sich in der Regel diejenigen Beutetiere, die für sie am leichtesten und gefahrlosesten zu erbeuten sind. Sie unterscheiden dabei nicht zwischen Wildtieren und Nutztieren. Die heimischen Wildtiere sind über Jahrmillionen an die Anwesenheit der Wölfe angepasst und haben entsprechende Strategien entwickelt, die unseren Haustieren teilweise fehlen. Insbesondere Schafe, Ziegen und Gatterwild, aber auch Fohlen und Kälber, für die der Mensch keine entsprechenden Schutzmaßnahmen umgesetzt hat, können für Wölfe eine leichte Beute darstellen. Zudem sind Wölfe in der Lage, Schwachstellen an den vom Menschen installierten Präventionsmaßnahmen zu finden und dort zu überwinden. Durch wiederholten Erfolg an nicht oder unzureichend geschützten Herden können Wölfe lernen, gezielt Schutzmaßnahmen zu überwinden und sich auf die Erbeutung von Nutztieren zu spezialisieren.

Aktive Vergrämungsmaßnahmen (z. B. durch Vergrämungsteams) sind hier nicht erfolgversprechend. Um eine langfristige Verhaltensänderung zu bewirken, muss das Tier bzw. das Rudel bei jedem Versuch, häufig mitten in der Nacht, durch Vergrämung bestraft werden. Dies ist in der Praxis selten (ggf. am Tag) bis gar nicht realisierbar. Eine passive Vergrämung wie es z. B. durch einen elektrischen Schlag an einem entsprechenden Zaun erreicht werden kann, ist hingegen sehr effektiv.

Das Land Niedersachsen ist sehr darum bemüht, Tierhaltende beim Schutz ihrer Weidetiere zu helfen und unterstützt daher im Rahmen der „Richtlinie Wolf“ nach Kräften den Aufbau des flächendeckenden Herdenschutzes, damit Wölfe gar nicht erst erlernen, dass Nutztiere wie Schafe und Ziegen einfach zu erbeuten sind. Da Herdenschutzmaßnahmen an die eigenen, betrieblichen Strukturen angepasst werden müssen, gibt es seitens des Landes Beratungsangebote durch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen.

Finanzielle Förderung des Landes - Richtlinie Wolf

Da sich Deutschland, wie andere EU-Länder auch, für den strengen Schutz und die Unterstützung einer natürlichen Rückkehr des Wolfs entschieden hat, werden die Bemühungen für eine Koexistenz von Mensch und Wolf als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen. Dies bedeutet, dass Kosten nicht nur von einzelnen Betroffenen, sondern von der Gesellschaft getragen werden.

Auch wenn kein rechtlicher Anspruch auf eine staatliche Entschädigung von Nutztierrissen besteht, da Wölfe herrenlose Wildtiere sind, so haben die Mehrzahl der EU-Länder sich dennoch dazu entschlossen, ein freiwilliges staatliches Präventions- und Kompensationssystem zu etablieren. Das System dient nicht nur der flächendeckenden Etablierung von Herdenschutzmaßnahmen und dem anteiligen finanziellen Schadensausgleich, sondern soll letztlich die Akzeptanz von Wölfen in der Gesellschaft fördern.

Die „Richtlinie über die Gewährung von Billigkeitsleistungen und Zuwendungen zur Minderung oder Vermeidung von durch den Wolf verursachten wirtschaftlichen Belastungen in Niedersachsen“, kurz „Richtlinie Wolf“ richtet sich an Nutztierhalterinnen und Nutztierhalter im Haupt- und Nebenerwerb sowie an Hobbyhalterinnen und Hobbyhalter. Gefördert werden die Aufrüstungen und einmalige Neuanschaffungen von Schutzzäunen nebst Zubehör und Anlagen zur Erreichung eines wolfsabweisenden Grundschutzes, sowie die Anschaffung von Herdenschutzhunden. Zuwendungen sind grundsätzlich zum Herdenschutz von Schafen, Ziegen und Gehegewild zur Erreichung des definierten Grundschutzes vorgesehen. In den in der Richtlinie benannten Ausnahmefällen können auch Schutzmaßnahmen für Rinder und Pferde gefördert werden. Das Land bietet eine finanzielle Unterstützung, für die Umsetzung der Schutzmaßnahmen sind Nutztierhaltende jedoch selbst verantwortlich. Billigkeitsleistungen werden für den amtlich ermittelten Wert der durch den Wolf verursachten Schäden an Tieren gewährt, die zum Zeitpunkt des Schadensereignisses wolfsabweisend (Grundschutz für Schafe, Ziegen, Gehegewild) bzw. nach guter fachlicher Praxis gezäunt waren. Für die Rissbegutachtung und Feststellung der Verursacherschaft sind die Bezirksförsterinnen und Bezirksförster der Landwirtschaftskammer zuständig.

Zudem werden erforderliche Ausgaben für Tierarztkosten bis zur Höhe des jeweiligen Tierwertes einschließlich Kosten der Medikamente übernommen. Dabei gilt eine maximale Höchstgrenze von 5.000 Euro pro Tier. Die Zahlung der Billigkeitsleistung an die jeweilige Tierhalterin oder den jeweiligen Tierhalter ist auf maximal 30.000 Euro pro Jahr beschränkt.

Die Abwicklung der Richtlinie Wolf, d.h. von der Antragstellung bis zur Auszahlung erfolgt durch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Auch die Beratung zu Präventions- bzw. Herdenschutzmaßnahmen wird federführend durch die LWK angeboten.

Herdenschutzberatung

Damit Nutztierhalterinnen und Nutztierhaltern der finanzielle als auch der emotionale Schaden erspart bleibt und Wölfe sich nicht auf Nutztiere spezialisieren, sollten präventiv geeignete Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Bietet sich Wölfen nämlich die (ungeschützte) Gelegenheit Nutztiere zu erbeuten und kommt es sogar zu mehrmaligen Erfolgen durch fortwährendes Fehlen von Schutzmaßnahmen, so kann es passieren, dass sich das gezielte Aufspüren und der Angriff auf Nutztiere als spezifische Ernährungsgewohnheit von Wolfsrudeln etabliert. Solch eine Jagdtradition wird letztlich an die nächsten Generationen weitergegeben. Wölfe nutzen zudem schnell Schwachstellen oder Fehler im Herdenschutzsystem aus. Ein defizitärer Herdenschutz gefährdet aufgrund des Lernverhaltens von Wölfen nicht nur die eigenen Nutztiere, sondern auch die Tiere anderer Halter. Dies zeigt die besondere Bedeutung, die der konsequenten Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen als effektiven Schutz zukommt.

Es gibt eine Vielzahl an Herdenschutzmaßnahmen. Vorweg wird jedoch darauf hingewiesen, dass Herdenschutz

1. niemals einen absoluten Schutz vor großen Beutegreifern bietet

2. dieser immer dem Betriebssystem, der Herdengröße, der geographischen Lage und den damit einhergehenden Bodenbeschaffenheiten angepasst sein muss.

Da pauschale Empfehlungen nur bedingt sinnvoll und möglich, bietet die Landwirtschaftskammer Niedersachsen Herdenschutzberatungen an. Sie bietet sowohl eine allgemeine Herdenschutzberatung als auch individuelle Beratungstermine an. Zur Veranschaulichung findet sich eine Dauerausstellung von wolfsabweisenden Herdenschutzzäunen auf dem Gelände des Landwirtschaftlichen Bildungszentrum (LBZ) in Echem.

Darüber hinaus bietet der Landesverband Niedersachsen e.V. des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) im Rahmen des Projekts „Herdenschutz Niedersachsen“ eine individuelle Herdenschutzberatung sowie Hilfe beim Aufbau an. Das Projekt wird anteilig durch das Land gefördert.

Was kann ich tun, wenn der Herdenschutz nicht ausreicht?

Lässt sich ein Wolf nachweislich auch durch verstärkte bzw. zumutbare Präventionsmaßnahmen nicht von deren Überwindung abhalten und hat sich auf ausreichend geschützte Nutztiere als Beute spezialisiert, stellt die Entnahme des Einzeltiers die letzte Handlungsoption dar. Eine genaue Analyse der Gesamtsituation (diese umfasst u. a. den Zustand der Herdenschutzmaßnahmen, den drohenden Schaden für die Weidetierhaltung und die Entwicklung des Erhaltungszustandes der Population) ist vorab unerlässlich.

Nutztierrisse in Niedersachsen

Das Land verfolgt mit großer Aufmerksamkeit die Entwicklung der Nutztierrisse. Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere finden fast überall in Niedersachsen statt. Alle Nutztierschäden werden auf dem Umweltkartenserver des Landes interaktiv dargestellt, der eine Übersicht zu den offiziell beim NLWKN gemeldeten Schadensfällen von toten/eingeschläferten, verletzten und verschollenen Nutztieren liefert. Eine detaillierte Anleitung zur Navigation auf dem Umweltkartenserver findet sich hier.

Bitte beachten: Die Zahl der Schadensfälle (Lfd. Nr.) entspricht nicht der Anzahl der betroffenen Tiere - es kann sich pro Schadensfall um mehrere Tiere handeln. Zudem handelt es sich bei den dargestellten Nutztierschadensorten nicht um die exakten Originalkoordinaten, sondern um die Gitterfelder, in denen sich der Schaden zugetragen hat.

Mit steigendem Wolfsbestand konnte ein klarer Anstieg von Nutztierschäden in Niedersachsen verzeichnet werden. Im Zeitraum von 2008 – 2021 stellten Schafe mit 905 Schadensereignisse, bei deinen insgesamt 4412 Tiere zu Schaden kamen, die Nutztierart mit den häufigsten Wolfsübergriffen dar. Ausgewachsene Pferde und Rinder sind durch ihre Wehrhaftigkeit weniger gefährdet, Fohlen und Kälber dagegen schon. In 13 % der Schadensereignisse waren Rinder betroffen (194 Tiere). Im Zuge der 17 dokumentieren Schadensereignissen, in denen Gehegewild betroffen war (5 %), sind insgesamt 221 Tiere durch Wolfsübergriffe zu Schaden gekommen.


Entwicklung der Nutztierschadensereignisse zwischen 2008 und 2021   Bildrechte: Umweltkartenserver, MU

Das Nutztierrissgeschehen zeichnet jedoch auch deutlich ab, dass längst noch kein flächendeckender Herdenschutz in Niedersachsen etabliert wurde. In der Zeit vom 01.01.2017 – 14.08.2022 wurden 1.135 Nutztierschadensereignisse dokumentiert (Schafe, Ziegen, Gatterwild), bei denen ein wolfsabweisender Grundschutz erforderlich war. In 933 Fällen war jedoch kein wolfsabweisender Grundschutz vorhanden. Ein solcher fehlte daher in 82 % aller Fälle. Die 1.135 Nutztierschadensereignisse verteilen sich auf 39 der 45 Landkreise und kreisfreie Städte des Landes, was zeigt, dass Übergriffe nicht nur in Regionen mit etablierten Wolfsterritorien zu erwarten sind, sondern in ganz Niedersachsen.

Relative Anzahl der Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere seit 2008 je Landkreis   Bildrechte: LNJ

Relative Anzahl der Übergriffe von Wölfen auf Nutztiere seit 2008 je Landkreis. Stand 15.08.2022. Datenquellen: NLWKN, LJN e.V., Darstellung LJN e.V.

Übersicht von Nutztierschadensfällen mit und ohne Grundschutz in der Zeit vom 01.01.2017 - 14.08.2022   Bildrechte: MU

Übersicht von Nutztierschadensfällen mit und ohne Grundschutz in der Zeit vom 01.01.2017 - 14.08.2022

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