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Windenergie in Niedersachsen - Folgen des drohenden Stellenabbaus bei Enercon

Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Olaf Lies hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Stefan Klein, Marcus Bosse, Uwe Santjer, Sabine Tippelt, Matthias Arends, Thordies Hanisch, Frank Henning, Rüdiger Kauroff, Jörn Domeier, Petra Emmerich-Kopatsch, Dr. Dörte Liebetruth und Jochen Beekhuis (SPD) geantwortet.

Vorbemerkung der Abgeordneten

Zum 1. Januar 2018 hat der Rotorblatthersteller Carbon Rotec aus Lemwerder seinen Geschäftsbetrieb, auch aufgrund des Verlustes seines wichtigsten Kunden, des Windkraftanlagenbauers Nordex, eingestellt. Anfang August 2018 teilte nun der Windkraftanlagenhersteller Enercon aus Aurich mit, dass insgesamt über 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon etwa 700 allein in Niedersachsen, ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Die Folgen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien, für die betroffenen Kommunen und für weitere mittelbar betroffene Unternehmen und Handwerksbetriebe sind gravierend. Enercon begründet diese Maßnahmen mit der Internationalisierung der Unternehmensstrategie, den deutlich gesunkenen Absatzzahlen im deutschen Binnenmarkt und den sich zum Nachteil verändernden Rahmenbedingungen.

Hintergrund:

Die Vergütungshöhe des erneuerbaren Stroms wird aufgrund der letzten großen EEG-Novelle seit Anfang 2017 nicht wie bisher staatlich festgelegt, sondern grundsätzlich durch Ausschreibungen wettbewerblich ermittelt.

Zwei Jahre nach Einführung des Ausschreibungssystems haben die neuen Ausschreibungen für den Bau von Windparks zu einem enormen Kostendruck geführt. Nur die günstigsten Gebote erlangen in den Ausschreibungen eine Förderung und damit die Möglichkeit, ihre Projekte wirtschaftlich tragbar zu realisieren.

Laut NDR (PM vom 12. Juli 2018) ist der Ausbau der Windenergie an Land und auf See ins Stocken gekommen, nachdem im Erneuerbare-Energien-Gesetz Ausschreibungen eingeführt wurden, mit denen gleichzeitig der mögliche Zubau begrenzt wird auf ein Niveau deutlich unter dem Zubau der Vorjahre. Aus Sicht von Vertretern der Windenergiebranche kamen Fehlentwicklungen bei den Ausschreibungen in 2017 hinzu, in denen sich nahezu ausschließlich vermeintliche Bürgerenergieprojekte ohne immissionsschutzrechtliche Genehmigung durchsetzten, die - sofern überhaupt - erst nach 2020 realisiert werden dürften. In der Folge ist insbesondere für 2019 eine Zubaudelle zu erwarten.

Vorbemerkung der Landesregierung

Mit der letzten großen EEG-Novelle wurde die gesetzlich geregelte Festvergütung für den Strom aus Wind-, Photovoltaik- und Biomasseanlagen abgeschafft zugunsten der wettbewerblichen Ermittlung der Fördersätze per Ausschreibungen. Die Einführung des Ausschreibungssystems ermöglichte zugleich eine zielgerechte Mengensteuerung der Neuinstallation von Anlagen über die Ausschreibungskontingente. Zuvor sah das EEG zwar auch schon Ausbaupfade vor. Jedoch führte die Überschreitung der Obergrenze des Zubaus lediglich zu einer i. d. R. moderaten Reduktion des Fördersatzes, mit der Folge, dass die Ausbauziele bei der Windenergie regelmäßig z. T. deutlich übertroffen wurden. Die im geltenden Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgesehen Ausschreibungsmengen für Windenergie an Land fallen bereits spürbar geringer aus als der Zubau der letzten Jahre.

Bei der Konzeption des Ausschreibungsdesigns für Windenergie an Land wurden Bürgerenergiegesellschaften mit deutlichen Privilegien gegenüber anderen Projektierern versehen, um ihnen unter den veränderten Bedingungen eine Chance einzuräumen, im Wettbewerb zu bestehen. Nicht nur, dass sie sich auch ohne immissionsschutzrechtliche Genehmigung an der Ausschreibung beteiligen durften – der Bürgerenergie war dazu noch eine zwei Jahr längere Realisierungsfrist für ihre Projekte eingeräumt worden. Da Bürgerenergieprojekte damit ihre Gebote in Erwartung technologischen Effizienzfortschrittes und folglich höherer Erträge kalkulieren konnten, entfielen in den Ausschreibungen von 2017 letztlich über 90 Prozent der Zuschlagsmenge auf Bürgerenergieprojekte ohne immissionsschutzrechtliche Genehmigung. In der Folge brachen bei allen in Deutschland ansässigen Herstellern die neu eingehenden Bestellungen für den nationalen Markt ein (sog. Zubaudelle). Für 2018 wird mit einem Rückgang der Errichtungszahlen um rund ein Drittel gerechnet. Auf Grund der Ausschreibungsergebnisse in 2017 wird für 2019 ein Zubau von höchstens 1.500 bis 2.000 Megawatt prognostiziert, der damit deutlich unterhalb des Ausbaupfades im EEG liegen würde. Auch vor diesem Hintergrund wurden im Koalitionsvertrag von CDU und SPD auf Bundesebene Sonderkontingente für die Ausschreibungen bei der Windenergie und Photovoltaik vereinbart, die schon in den Jahren 2019 und 2020 wirksam werden sollen.

1. Welche Einbußen bedeuten die Arbeitsplatzverluste für die Branche im Hinblick auf den Erhalt wichtigen Know-hows und damit ihrer Position im internationalen Wettbewerb einerseits und für die kommunalen Gebietskörperschaften andererseits?

Der Landesregierung liegen derzeit keine belastbaren Informationen zu den konkreten Auswirkungen des angekündigten Abbaus von über 800 Arbeitsplätzen im Bereich der Windenergie auf den Erhalt des Fachwissens, die Position im internationalen Wettbewerb und die kommunalen Gebietskörperschaften vor.

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt den Anteil der Erneuerbarer Energien bis 2030 auf etwa 65 Prozent zu erhöhen. Damit die Wertschöpfung dieses Ausbaus weitestgehend in Deutschland verbleibt, muss verhindert werden, dass die Windenergieindustrie das gleiche Schicksal erleidet wie die Photovoltaikhersteller vor einigen Jahren. Mit dem Verlust der Arbeitsplätze droht auch das Know-how der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für den Ausbau der Windenergie in Deutschland verloren zu gehen.

2. In welcher Form setzt sich die Landesregierung für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein (Erhalt der Arbeitsplätze, möglicher Ersatz und/oder Alternativen)?

Die Landesregierung steht in einem engen Kontakt mit allen Akteuren. Sie wirkt darauf hin, dass sich die Geschäftsleitungen der betroffenen Unternehmen die erforderliche Zeit nehmen, die Entscheidungen zum Abbau von Arbeitsplätzen zu überdenken, um Alternativen zu entwickeln und konstruktive Gespräche mit den Beschäftigten zu führen. Anderweitige Arbeitsplätze, bei anderen Arbeitgebern in der Region, sollen auch im Interesse der Arbeitnehmer nur letzte Möglichkeit sein, da diese gut ausgebildeten Fachkräfte für den weiteren notwendigen Ausbau der Windenergie in Deutschland nicht mehr verfügbar wären.

So sind am 15. August die Betriebsräte der betroffenen Unternehmen, Vertreter der zuständigen Agenturen für Arbeit, der Präsident des Bundesverbands WindEnergie e.V., Vertreter der IG Metall, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Ostfriesland und Papenburg sowie Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags auf Einladung des Niedersächsischen Wirtschaftsminister zum Runden Tisch in Hannover zusammengekommen. Der Niedersächsische Umweltminister und der Bundeswirtschaftsminister haben sich am 16. April 2018 mit Gewerkschaftsvertretern und Abgeordneten in Emden getroffen.

Das Land trägt mit seinen Förderprogrammen umfangreich zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen bei. Allein zur Förderung von betrieblichen Investitionen stehen derzeit rund 40 Mio. € jährlich zur Verfügung, womit regelmäßig hunderte von Arbeitsplätzen neu geschaffen und gesichert werden. Diese Förderung kommt in einem hohen Umfang der niedersächsischen Küstenregion (und damit auch den Standorten der Windenergiebranche) zugute, welche von Leer bis Cuxhaven durchgängig zur Fördergebietskulisse gehört.

Die Arbeitsverwaltung wurde frühzeitig eingebunden und schöpft alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel der Arbeitsförderung aus.

3. Welche Schritte unternimmt die Landesregierung, um auf die Bundesregierung hinzuwirken, damit die im Koalitionsvertrag für den Bund angekündigten Sonderausschreibungen von 4 Gigawatt Windenergie an Land und der Sonderbeitrag für Offshorewindenergie eingeführt werden?

Die Landesregierung hatte bereits frühzeitig im Verfahren der EEG-Novelle 2017 auf Probleme und Risiken für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien hingewiesen und Änderungen vorgeschlagen. Ein auf Ebene der Ministerpräsidentenkonferenz zwischenzeitlich gefundener Kompromiss zwischen Bund und Ländern wurde von Niedersachsen als grundsätzlich vertretbar mitgetragen. Nachdem dieser im weiteren parlamentarischen Verfahren weitere bedeutende Änderungen erfuhr – etwa eine Beschränkung des Ausbaus der Windenergie auf See zu Beginn der 2020er Jahre – hat Niedersachsen den vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf am 8. Juli 2016 abgelehnt.

Mit dem Cuxhavener Appell 2.0 haben die Wirtschaftsminister und ‑senatoren der norddeutschen Länder, Verbände der Offshore-Windbranche, der Oberbürgermeister der Stadt Cuxhaven (im Namen von elf Oberbürgermeistern und BürgermeisterInnen) und der IG Metall Küste auf Initiative des seinerzeitigen Niedersächsischen Wirtschaftsministers im September 2017 auf Korrekturen beim Bund gedrungen. Vor dem Hintergrund der deutlichen Kostensenkungen, die sich in der ersten nationalen Ausschreibung für Windenergie auf See (April 2017) aber auch international abzeichneten, fordern die Unterzeichner des Appells eine Anhebung der Ausbauziele für Windenergie auf See von 15 auf 20 Gigawatt bis 2030 und 30 Gigawatt bis 2035. Ferner wird mit dem Appell auf die Ermöglichung weiterer Projekte im Zeitraum 2020 bis 2025 gedrungen, um Bestand und Entwicklung der Offshore-Windenergiebranche zu sichern. Die Landesregierung steht hinter diesen Forderungen und hat sie sich in ihrem Koalitionsvertrag zu Eigen gemacht.
Mit einer von den norddeutschen Ländern getragenen Initiative wurde die zentrale Forderung des Appells nach einem ambitionierteren Ausbau der Offshore-Windenergie im Januar 2018 in den Bundesrat getragen. Eine Ländermehrheit kam dort allerdings nicht zustande.

Im Bereich der Windenergie an Land ist Niedersachsen ebenfalls frühzeitig aktiv geworden, um die Fehlentwicklungen in den Ausschreibungen in 2017 zu korrigieren und eine in Folge zu erwartende Zubaudelle abzuwenden respektive zu mindern.

Unmittelbar nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der zweiten Ausschreibungsrunde hat der damalige Wirtschaftsminister Vertreter und Vertreterinnen der betroffenen Unternehmen zu einem Branchendialog am 25. August 2017 eingeladen. Anlässlich diesen Branchendialogs haben die Beteiligten ein Positionspapier erarbeitet, in dem auf die Gefahr eines weiteren Arbeitsplatzabbaus in der Windenergiebranche hingewiesen wird und als vordringlichste Maßnahme Sonderausschreibungen für die Jahre 2018, 2019 und 2020 gefordert werden. Dieses Positionspapier wurde der damaligen Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, den Vorsitzenden der Landesgruppen Niedersachsen bzw. den energiepolitischen Sprechern im Deutschen Bundestag sowie dem Präsidenten der Bundesnetzagentur übersandt.

Mit einer eigenen Bundesratsinitiative hat Niedersachsen im Januar 2018 kurzfristig nötige Korrekturmaßnahmen gefordert. Gegenstand war, dass bis auf weiteres nur Projekte mit immissionsschutzrechtlicher Genehmigung zu den Ausschreibungen zugelassen werden sollen sowie das Ausschreibungsvolumen in 2018 einmalig um 2.000 Megawatt erhöht wird, um die zu erwartende Ausbaudelle zu mildern und den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern. Durchgesetzt hat sich im Bundesrat ein abgemilderter Antrag, der lediglich ein zusätzliches Ausschreibungsvolumen von 1.400 MW mit späterer Verrechnung vorsah.

Bundestag und Bundesrat haben am 7. und 8. Juni 2018 lediglich den Vorschlag zur verpflichtenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aufgegriffen. Diese nötige Gesetzesanpassung wurde von Niedersachsen begrüßt, zugleich aber in einer Protokollerklärung im Bundesrat deutlich gemacht, dass dies nicht ausreichend sei. Um die Ausbauziele für Erneuerbare Energien sowie die Klimaziele zur CO2-Emissionsminderung zu erreichen, ist es dringend erforderlich, dass seitens der Bundesregierung eine Regelung vorgelegt wird mit der die vom Bundesrat geforderten zusätzlichen Ausschreibungen in Höhe von 1,4 GW und die im Koalitionsvertrag des Bundes vereinbarten Sonderausschreibungen in Höhe von bundesweit 4 GW für Windenergie an Land, die in den Jahren 2019 und 2020 wirksam werden sollen, umgesetzt werden. Gerade aus industriepolitischen Gründen und zur Sicherung der Arbeitsplätze braucht es einen raschen Einstieg in die vereinbarten Sonderausschreibungen, um eine ausreichende Planungsperspektive für die von der Zubaulücke betroffenen Unternehmen aufzuzeigen.

Darüber hinaus wurden Forderungen zur Umsetzung von Sonderausschreibungen bzw. zur Intensivierung des Ausbaus der Windenergie mit folgenden Ministerkonferenzbeschlüssen an den Bund gerichtet:

· Besprechung der Regierungschefin und Regierungschefs der norddeutschen Länder (KND) am 24.05.2018

· Umweltministerkonferenz am 08.06.2018

· Wirtschaftsministerkonferenz am 27./28.06.2018

Ferner wurden von Mitgliedern der Landesregierung diverse Gespräche mit einschlägigen Akteuren geführt. Beispielsweise hat der Niedersächsische Wirtschaftsminister am 06. August mit den Geschäftsführern der Enercon GmbH die aktuelle Situation diskutiert und am 12. August in einem Telefonat dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie die dramatische Situation geschildert und den Minister zur unverzüglichen Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfes aufgefordert. Der Umweltminister hat jüngst im Rahmen eines gemeinsamen Termins auf der Sommerreise des Bundeswirtschaftsministers (sog. „Netzausbaureise“) gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister ein Gespräch mit Vertretern des Betriebsrats von Enercon und der IG Metall geführt, bei dem auch die Dringlichkeit des geforderten Sonderausschreibungskontingents für die Windenergie erörtert wurde und seitens des Bundes eine zügige Lösung angekündigt wurde.

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die Landesregierung die anstehenden Probleme bereits frühzeitig erkannt hat und in vielfacher Hinsicht initiativ geworden ist, um nötige Änderungen und Korrekturen beim Bund anzumahnen. Sie wird weiter darauf drängen, dass die Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene angelegten Ansätze für eine entschlossenere Umsetzung der Energiewende angegangen werden.

Für Niedersachsen verfolgt die Landesregierung das Ziel, die Windenergienutzung an Land bis 2050 auf mindestens 20 GW zu steigern. Zentrale Voraussetzung dafür ist die Verfügbarkeit ausreichender geeigneter Flächen. Die kommunalen Planungsträger sind in Niedersachsen die relevanten Akteure bei der Suche nach den verträglichsten Standorten vor Ort. Mit dem Windenergieerlass und dem zugehörigen Leitfaden zum Artenschutz leistet das Land Hilfestellung und Orientierung und gibt den Planungsträgern individuelle Orientierungswerte an die Hand, in welchem Maß sie – entsprechend der jeweiligen regionalen Voraussetzungen – zur Erreichung des landesweiten Ausbauziels beitragen können. Landesseitig ist zu beobachten, inwieweit die Flächenbereitstellung und der Ausbau im Soll liegen oder beispielsweise über das Landes-Raumordnungsprogramm nachgesteuert werden muss.

Die Mengensteuerung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien in Deutschland erfolgt über die bundesrechtlichen Regelungen – konkret die technologiespezifischen Ausbaupfade und den Ausbaukorridor im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Sie ist nicht durch europarechtliche Vorgaben begrenzt und insofern nicht durch Initiativen auf europäischer Ebene beeinflussbar.

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