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Wenzel informiert Ausschuss über neue Erkenntnisse zur Explosion in Ritterhude

Pressemitteilung

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Am 09.09.2014 kam es auf dem Gelände der Fa. Organo Fluid in Ritterhude zu einen schweren Unfall. Ich habe veranlasst zu überprüfen, wie es zu dem Unglück kommen konnte und welche Konsequenzen ggf. zu ziehen sind.

Ich will Sie heute über den derzeitigen Stand unserer Überprüfung unterrichten. Diese ist noch nicht abgeschlossen. Über weitere Ergebnisse werde ich Sie informieren.

Nicht Gegenstand der vorgenommenen Untersuchung waren Fragen der persönlichen Verantwortlich- und Vorwerfbarkeit. Die vorgefundene Faktenlage wurde ex post auf der Grundlage der seinerzeit jeweils geltenden Rechtslage bewertet.

Da die Explosionsursache bislang nicht identifiziert ist, sind keine belastbaren Rückschlüsse von etwaigen Versäumnissen des Gewerbeaufsichtsamts Cuxhaven in Anzeige- und Genehmigungsverfahren auf die Vermeidbarkeit des Unfalls möglich.

Die ursprüngliche Konzeption des Unternehmens sah so aus, dass bestimmte Stoffe in eine Destillationsanlage gehen und die Destillationsrückstände anschließend in einer Feuerungsanlage verbrannt werden, wobei die dabei gewonnene Wärme als Prozesswärme genutzt wird.

Für diese beiden Anlagen, die Destille und die Feuerungsanlage, bestanden eigenständige immissionsschutzrechtliche Genehmigungen. Auf dem Gelände befand sich zudem ein Tanklager.

Wir haben uns zunächst die Genehmigungsunterlagen des GAA Cuxhaven angesehen.

Zur Regenerationsanlage (sogen. Destillationsanlage):

Die erste und einzige immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Lösemittelregenerationsanlage datiert vom 23.8.1990.
Die Lösemittelregenerationsanlage wurde zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung zutreffend der Ziffer 4.8 des Anhangs der 4. BImSchV zugeordnet. Eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVPG bestand nicht.

Unter Datum des 2.9.1996 beantragte die Fa. Dr. Wolfgang Koczott als Rechtsvorgängerin der Organo Fluid GmbH Dr. Wolfgang Koczott die wesentliche Änderung der Regenerationsanlage. Unter anderem umfasste die Änderung eine Erhöhung der Destillationsleistung von < 1 t/h auf < 3 t/h. Die gesamte Abluft der Regenerationsanlage wurde ausweislich der Genehmigungsunterlagen sowohl vor als auch nach der Kapazitätserhöhung in die Feuerungsanlage geleitet und dort unschädlich gemacht.

Mit Schreiben vom 17.9.1996 teilte das GAA Cuxhaven der Firma mit, eine Änderungsgenehmigung sei nicht erforderlich. Die Änderungen an der Anlage seien nicht wesentlich. Der Antrag würde als eine Mitteilung nach § 16 BImSchG a. F. gewertet. Im September 1996 war der Begriff der wesentlichen Änderung noch nicht legal definiert. Als Maßstab hatte aber zu gelten, ob die Änderung Anlass zu einer erneuten Prüfung der Genehmigungsfrage gibt. Vieles spricht dafür, dass die Wertung des GAA Cuxhaven, die Genehmigungsfrage stelle sich nicht neu, zumindest vertretbar war und demzufolge nach damaliger Rechtslage auch keine Änderungsgenehmigung ergehen konnte.

Problematischer sieht es bei der Feuerungsanlage aus:

Die Feuerungsanlage wurde in zwei Schritten genehmigt: Unter Datum des 18.12.1989 erhielt die Fa. Dr. Wolfgang Koczott vom GAA Cuxhaven einen Vorbescheid und eine Teilgenehmigung zur Errichtung einer Feuerungsanlage mit einer Halle sowie dem Einbau eines Öltanks. Mit Bescheid vom 28.8.1990 erteile das GAA Cuxhaven die Genehmigung für die Inbetriebnahme der Anlage.
Die genehmigte Leistung der Feuerungsanlage beträgt < 1 MW.
Weitere Genehmigungen wurden in der Folge bis zur Zerstörung der Anlage nicht erteilt. Ausweislich des Genehmigungsbescheides vom 18.12.1989 sind in der Feuerungsanlage als Brennstoffe rein flüssige bis hochpastöse Reststoffe des Destillationsbetriebes sowie Heizöl-EL zugelassen.

Darüber hinaus fungiert die Feuerungsanlage als Abluftreinigung für die Regenerationsanlage. Die gesamte Abluft der Regenerationsanlage wird in der Feuerungsanlage thermisch nachverbrannt. Vor diesem Hintergrund wäre es zweckmäßig gewesen, Destille und Feuerungsanlage als Haupt- und Nebeneinrichtung in einer Genehmigung zuzulassen.

Am 28.5.2003 zeigte die Fa. Dr. Wolfgang Koczott beim GAA Cuxhaven eine Änderung der Feuerungsanlage an. Kern der geplanten Änderung war die Installation einer zweiten Feuerungsstrecke. Im Anzeigeformular wird die neue Feuerungsstrecke als redundant bezeichnet. Im Rahmen eines redundanten Betriebs würde jeweils nur eine der beiden Feuerungslinien im Lastbetrieb genutzt. In den der Anzeige beigefügten Dokumenten ist indes ein Parallelbetrieb beschrieben und die Anlagenfahrweise wird auch ausdrücklich als „Parallelbetrieb“ bezeichnet. Zudem heißt es auf Seite 1 der Verfahrensbeschreibung wörtlich:

„Durch die Behandlung des schwach belasteten Abluftmengenstromes und damit zur Senkung der Geruchsemissionen aus dem Betrieb wird die Feuerungswärmeleistung der beiden Verbrennungslinien auf insgesamt 3,5 MW angehoben“.

Das GAA Cuxhaven erteilte der Fa. Dr. Wolfgang Koczott unter Datum des 10. Juni 2003 eine Freistellungserklärung. Bei seiner Prüfung der Frage, ob es sich um eine wesentliche Änderung handelt, ging es davon aus, dass die Feuerungslinien grundsätzlich redundant betrieben werden sollen. Die Bewertung des GAA Cuxhaven, es handele sich nicht um eine genehmigungsbedürftige wesentliche Änderung, ist anhand der vorgefundenen Aktenlage nicht nachvollziehbar.

Vielmehr beabsichtigte nach hiesiger Bewertung die Fa. Dr. Wolfgang Koczott eine wesentliche Anlagenänderung i. S. d. BImSchG. Die Feuerungsanlage als Teil der Gesamtanlage wäre nach der Anlagenänderung der lfd. Nr. 8.1 lit. a Spalte 1 unterfallen. Damit hätte das reguläre (formale) Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG durchgeführt werden müssen. Im Ergebnis spricht auch vieles dafür, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich gewesen wäre, wenngleich die Rechtslage sich zugegebenermaßen als schwierig darstellt. Dies ist im schriftlichen Bericht näher ausgeführt.

Darüber hinaus drängt sich die Frage auf, ob bei Durchführung des Verfahrens zur Genehmigung einer wesentlichen Änderung die beantragte Zulassung hätte erteilt werden können. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens hätten auch die Vorschriften des Bauplanungsrechts berücksichtigt werden müssen. Angesichts der konfliktträchtigen Gemengelage von gewerblicher Nutzung und Wohnnutzung ist fraglich, ob den bauplanungsrechtlichen Vorgaben hätte genügt werden können.

Spätestens seit Ende des Jahres 2000 hatte das GAA Cuxhaven darüber hinaus Kenntnis darüber, dass in der Feuerungsanlage nicht nur Destillationsrückstände aus dem Regenerationsbetrieb der Anlage, sondern Fremdabfälle auch direkt, also ohne vorherige Behandlung in der Destille, energetisch verwertet werden. Seit Mitte des Jahres 2002 – eventuell auch schon zeitlich vorher – wurden zudem in der Feuerungsanlage Abfälle nicht nur direkt energetisch verwertet, sondern auch beseitigt. Dies ergibt sich aus dem Schriftverkehr der NGS mit dem GAA Cuxhaven aus Anlass konkret geplanter Entsorgungen. Da GAA hatte hiergegen keine Bedenken. Dies ist im Bericht im Einzelnen dargestellt.

Die vom GAA vorgenommene Rechtsanwendung war fehlerhaft. Wie schon gesagt, waren als Brennstoffe in den Genehmigungen für die Feuerungsanlage lediglich Rückstände aus der Destillation sowie Heizöl EL zugelassen worden. Daran ändert auch eine Anzeige der Feuerungsanlage als Abfallverbrennungsanlage aus dem Jahre 1998 nichts.

Der Anzeige vorausgegangen waren zahlreiche Änderungen im Bereich des Abfallrechts. Am 7.10.1996 trat das KrW-/AbfG in Kraft. Der Bundesgesetzgeber transformierte den EG-rechtlichen Abfallbegriff in deutsches Recht. Fortan galten Gegenstände und Stoffe auch dann als Abfall, wenn sie einem Verwertungsverfahren zugeführt wurden. Bis zum Ablauf des Jahres 1998 musste der Europäische Abfallkatalog eingeführt sein. Auch hierbei handelte es sich um eine tiefgreifende Rechtsänderung, die arbeitsintensive Anpassungen von Genehmigungen, Satzungen etc. erforderlich machte.

Im Falle der Anlage der Fa. Dr. Wolfgang Koczott führte das Inkrafttreten des KrW-/AbfG dazu, dass in Bezug auf den Destillationssumpf der Regenerationsanlage, der in der Feuerungsanlage energetisch verwertet werden sollte, die Abfalleigenschaft begründet wurde. Abfälle durften jedoch in der Feuerungsanlage nicht als Brennstoff eingesetzt werden.

Die seinerzeit Beteiligten nahmen deshalb an, man müsste die einst als nach Nr. 1.3 des Anhangs zur 4. BImSchV als genehmigungsbedürftig identifizierte Feuerungsanlage zu einer Abfallverbrennungsanlage gemäß Nr. 8.1 des Anhangs zur 4. BImSchV auf der Grundlage des § 67 Abs. 2 BImSchG „umschlüsseln“.
In diesem Zuge wurden zwei Fehler in der Rechtsanwendung begangen:

Zum einen wurde der Anwendungsbereich des § 67 Abs. 2 BImSchG verkannt. Denn einer solchen Anzeige bedurfte es damals wie heute nur in Bezug auf Anlagen, die erstmals durch die Änderung der 4. BImSchV vom Genehmigungserfordernis des BImSchG erfasst werden. Dies ist bei der Feuerungsanlage nicht der Fall.

Darüber hinaus wurde die Rechtsfolge einer Anzeige nach § 67 Abs. 2 Satz 1 BImSchG fehlinterpretiert. Es wurde offenbar davon ausgegangen, mit der erfolgten Neuzuordnung der Anlage zur Ziffer 8.1 des Anhangs der 4. BImSchV sei nun nicht mehr der Betrieb einer Feuerungsanlage, sondern der einer „vollwertigen“ Abfallverbrennungsanlage gestattet.

Ob das unmittelbare Verbrennen externer Abfälle isoliert betrachtet eine wesentliche und damit genehmigungsbedürftige Anlagenänderung darstellt, wofür einiges spricht, kann letztlich dahinstehen. Jedenfalls war der Betrieb der Feuerungsanlage insoweit ungenehmigt und auch nicht vom Genehmigungserfordernis freigestellt.

Zum Tanklager:

Es befand sich zudem ein aus einer Vielzahl von Einzeltanks bestehendes Tanklager auf dem Betriebsgelände. Es unterfiele bei heutiger genehmigungsrechtlicher Betrachtung der lfd. Nr. 8.12.1.1 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV.

Die Genehmigungslage des Tanklagers muss noch unter Einbeziehung der Bauaufsichtsbehörden weiter aufgeklärt werden.

Zur Überwachung:

Für Anlagen, die die Anforderungen der Industrieemissions-Richtlinie zu erfüllen haben, sind u.a. die Vorgaben des nieders. Überwachungsplans zu beachten. Die festgelegten Überwachungsintervalle liegen zwischen 1 und 3 Jahren. Die Umweltinspektionen sollen in der Regel von den Gewerbeaufsichtsämtern als federführender Behörde gemeinsam mit den Behörden, deren Belange betroffen sind (wie zum Beispiel Wasserschutz, Bauaufsicht) durchgeführt werden.

Die letzte Überwachung des Betriebes gemäß der Industrieemissions-Richtlinie (IED) erfolgte am 11.6.2014 durch das Gewerbeaufsichtsamt Cuxhaven gemeinsam mit dem Landkreis Osterholz. Schwerwiegende Mängel nach den Maßstäben des Prüfbogens wurden während der Inspektion nicht festgestellt. Deshalb ist auch diese Prüfmatrix zu hinterfragen. Bei komplexen Anlagen müssen Spezialisten für Anlagentechnik hinzugezogen werden können.
Die Anlage wurde in den letzten 10 Jahren regelmäßig in jährlichen Abständen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten revidiert. Darüber hinaus sind die Messgeräte zur kontinuierlichen Ermittlung von Emissionen an das Emissionsfernüberwachungssystem angeschlossen.

Weiterhin wurden vor Ort Gespräche aufgrund von Beschwerden über Lärm und Gerüche geführt, in diesem Zuge wurde die Firma auch unangekündigt vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Cuxhaven aufgesucht.

Zur Abfallentsorgung:

Aus der Auswertung der Begleitscheindaten ergibt sich, dass vom 18.12.2003 bis zum 09.09.2014 ca. 73.000 Mg an Abfällen in den Anlagen entsorgt worden sind. Auch dies ist im Bericht detailliert dargestellt.

Zum Schluss:

Die Aufgaben und Zuständigkeiten der beteiligten Behörden sind ebenfalls im Bericht im Einzelnen dargestellt.

Artikel-Informationen

erstellt am:
02.02.2015

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