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Antwort auf die mündliche Anfrage zu: Ausbau der Windkraftnutzung

Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Olaf Lies hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Volker Senftleben, Marcus Bosse, Axel Brammer, Guido Pott, Gerd Hujahn und Dirk Adomat (SPD) geantwortet.

Vorbemerkung der Abgeordneten

Der Bundesrat hat am 8. Juni 2018 einer Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zugestimmt, die der Bundestag einen Tag zuvor beschlossen hatte. Danach bleiben die Sonderregeln für Bürgerenergiegesellschaften bei der Ausschreibung von Windenergieprojekten an Land bis zum 1. Juni 2020 ausgesetzt.

Dazu hat Energieminister Lies im Nachgang zur Bundesratssitzung am 8. Juni 2018 in einer Pressemitteilung erklärt, dass diese Änderungen nach Auffassung der Landesregierung nicht ausreichend sind. Um einen industriepolitischen Fadenriss für die Jahre 2019/2020 zu vermeiden und die Klimaziele zu erreichen, fordert der Bundesrat zum einen zeitnahe zusätzliche Ausschreibungen in Höhe von 1,4 GW. Zudem sieht der Koalitionsvertrag auf Bundesebene Sonderausschreibungen in Höhe von 4 GW vor, die in 2019 und 2020 je zur Hälfte wirksam werden sollen.

Vorbemerkung der Landesregierung

Mit dem EEG 2017 wurde die Förderung für Erneuerbare Energien auf Ausschreibungen umgestellt. Zur Wahrung der Akteursvielfalt wurden bei den Ausschreibungen für Windenergieanlagen an Land Sonderregelungen für Bürgerenergiegesellschaften eingeführt. Diese Sonderregelungen haben jedoch im Jahr 2017 zu Wettbewerbsverzerrungen und entsprechenden Verwerfungen geführt. Durchgesetzt haben sich ganz überwiegend Projekte in Form von Bürgerenergiegesellschaften ohne immissionsschutzrechtliche Genehmigung (2,7 von 2,8 GW). Es besteht die berechtigte Sorge, dass diese bezuschlagten Projekte erst sehr spät (nach 2020) bzw. zu einem Teil gar nicht realisiert werden und damit die Ausbauziele des EEG verfehlt werden. Die insbesondere für 2019/20 zu erwartende Ausbaulücke bei der Realisierung kann einen industriepolitischen Fadenriss bei der Hersteller- und Zulieferindustrie verursachen und unmittelbar Arbeitsplätze gerade auch in Niedersachsen gefährden.

1. Welche Zielsetzungen verfolgt das Land mit der Forderung, die Sonderausschreibungen zeitnah zu regeln?

Um die Ausbauziele für Erneuerbare Energien sowie die Klimaziele zur CO2-Emissionsminderung zu erreichen, ist es dringend erforderlich, dass seitens der Bundesregierung eine Regelung vorgelegt wird mit der die vom Bundesrat geforderten zusätzlichen Ausschreibungen in Höhe von 1,4 GW und die im Koalitionsvertrag des Bundes vereinbarten Sonderausschreibungen in Höhe von bundesweit 4 GW für Windenergie an Land, die in den Jahren 2019 und 2020 wirksam werden sollen, umgesetzt werden. Gerade aus industriepolitischen Gründen und zur Sicherung der Arbeitsplätze braucht es einen raschen Einstieg in die vereinbarten Sonderausschreibungen, um eine ausreichende Planungsperspektive für die von der Zubaulücke betroffenen Unternehmen aufzuzeigen.

2. Welche Vorstellungen hat die Landesregierung, um den Verbrauch von erneuerbarem Strom in Spitzenzeiten bzw. dessen Speicherung zu stärken?

In einem sich zunehmend auf erneuerbare und dargebotsabhängige Energiequellen stützenden Stromversorgungssystem werden – ohne weitere Maßnahmen – verstärkt Konstellationen auftreten, in denen das regenerative Stromdargebot temporär höher ausfällt als benötigt – selbst wenn neue Nutzungen wie Elektromobilität den Strombedarf insgesamt tendenziell erhöhen werden. Umgekehrte Konstellationen gilt es ebenso zu bewältigen. Aus Gründen des Klimaschutzes besteht zugleich die Notwendigkeit neben dem Strombereich auch den Wärme- und den Verkehrssektor zu dekarbonisieren. In diesen beiden Sektoren fällt mit bundesweit rund 80 Prozent der Großteil des Energieverbrauches an. Zugleich stagniert dort der Anteil der Erneuerbaren auf niedrigem Niveau, im Verkehrssektor bundesweit bei rund 5 Prozent und im Wärmesektor bundesweit bei rund 13 Prozent. Im Stromsektor ist die Entwicklung deutlich weiter vorangeschritten. Als Windenergieland Nr. 1 hat Niedersachsen dazu einen großen Beitrag geleistet.

Mit der Sektorkopplung können diese Potentiale der regenerativen Stromerzeugung auch in den Sektoren Wärme und Verkehr zur Dekarbonisierung beitragen. Sie lassen sich dort einsetzen, entweder indem Strom direkt genutzt wird oder indem Strom in Wärme oder Wasserstoff umgewandelt und zur zeitversetzten Nutzung gespeichert wird. Damit werden Power-to-X-Lösungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Auf diese Weise können auch vorhandene Infrastrukturen im Bereich der Wärme- und Gasnetze für die Energiewende genutzt werden. Als Flexibilisierung und Kopplung der Energiesektoren lassen sich die anstehenden Herausforderungen zusammenfassen. Für diese existieren grundsätzlich technische Lösungen, allerdings müssen diese weiterentwickelt und erprobt werden.

Speicher stellen ein Element der nötigen Flexibilisierung des Stromversorgungssystems dar und tragen entsprechend zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und Netzstabilität bei. Speichertechnologien ermöglichen überdies die Überwindung der Systemgrenzen zwischen den verschiedenen Sektoren (Strom, Wärme und Mobilität). Eine intelligente Kopplung dieser Sektoren wird den langfristigen Umstieg auf eine nahezu klimaneutrale Energieversorgung, basierend auf erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Sonne, unterstützen. Die Niedersächsische Landesregierung unterstützt vor diesem Hintergrund Energiespeicherprojekte wie zum Beispiel den Hybridgroßspeicher in Varel, der von EWE in Kooperation mit japanischen Partnern erstellt wird.

Zudem unterstützt die Landesregierung Vorhaben zur Wasserelektrolyse mit dem Ziel der Umwandlung erneuerbaren Stroms in Wasserstoff. Dabei unterstützt sie den Ansatz einer möglichen Nutzung von Erdgasspeichern als Speicher für "grünen Wasserstoff" als sinnvolle weitere Form der langfristigen Energiespeicherung.

Ein wichtiges regulatorisches Instrument zum Ausbau der verschiedenen Speichertechnologien können die so genannten zuschaltbaren Lasten darstellen, die nach Auffassung der Landesregierung mehr als Power-to-Heat umfassen sollten, bspw. auch die Erzeugung von Wind-Wasserstoff. Entsprechend setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene dafür ein, dass eine technologieoffene Ausschreibung zuschaltbarer Lasten erfolgt.

3. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um die Sektorkopplung voranzutreiben und den Einsatz von EE-Strom im Verkehrs- und Wärmesektor voranzutreiben?

Der erhebliche zusätzliche Strombedarf durch die Sektorenkopplung muss zunächst durch Effizienzmaßnahmen reduziert werden. Für eine erfolgreiche Dekarbonisierung etwa des Wärmemarktes sind Effizienzmaßnahmen im Gebäudebestand daher die Voraussetzung.

Um eine effiziente Sektorkopplung im Wärmesektor zu erreichen, müssen Energieeffizienz und Erneuerbare Energien auch im Gebäudebereich optimal miteinander verbunden werden. Neben der direkten Nutzung Erneuerbarer Energien in Form von Biomasse, Solarthermie und Tiefengeothermie bieten sich elektrische Wärmepumpen betrieben mit Strom aus erneuerbaren Quellen sowie Gaswärmepumpen betrieben durch Gas, das über Power-to-Gas-Anlagen auf Basis von regenerativ erzeugtem Strom gewonnen wurde, als Technologieoptionen an. Denkbar ist, die Solarthermie in größeren Einheiten in Nahwärmenetze einzubinden.

Ein zentrales Hemmnis der Sektorenkopplung stellen die staatlich induzierten Preisbestandteile im Energiesektor dar. So wird Strom im Vergleich zu konkurrierenden Energieträgern wie Erdgas, Heizöl, Benzin oder Diesel überdurchschnittlich mit Abgaben, Umlagen und Steuern belastet. Es bedarf somit einer strukturellen Überarbeitung der staatlich induzierten Energiepreisbestandteile.

Zudem bedarf es der Initiierung von Reallaboren der Energiewende, um die technischen und regulatorischen Voraussetzungen der Sektorkopplung unter realen Bedingungen etablieren zu können. Die Reallabore können dabei großtechnische Verfahren wie die Wasserelektrolyse zur stofflichen Nutzung oder Speichersysteme sein. Beispiele hierfür sind:

  • Wasserstoff-Elektrolyse, Wasserstoff-Speicherung und spätere Verstromung über Brennstoffzellen

  • Wasserelektrolyse, Methanisierung und Einspeisung in das Gasnetz

  • Nutzung von ehemaligen Salzkavernen, um Batterien nach dem Redox-Flow-Prinzip zu implementieren

  • Größere Akkumulatoren-Stationen für die Kurzzeitspeicherung (evtl. Hybridgroßspeicher [Nutzung verschiedener Batteriesysteme])

Ein wesentlicher Baustein der Sektorkopplung ist die Verzahnung der Strom- und Gasnetzinfrastruktur. Die Landesregierung verfolgt entsprechend den Ansatz bzw. das Ziel, Akteure aus den beiden Systemen zusammenzubringen, um so eine integrierte Nutzung der Strom- und Gasinfrastruktur zu ermöglichen. Als Bindeglied bzw. „Transformator“ zwischen Strom- und Gassystem kommt insbesondere der strombasierten Wasserstoffproduktion eine wichtige Bedeutung zu. Dabei ist es erforderlich, deutlich über die bisherige Leistungsklasse von 5 MW hinauszugehen. Nur wenn heute Schritte hin zu einer Größenordnung von 50 MW-Anlagen gegangen werden, erreichen wir die nötigen technischen Fortschritte, um mittelfristig großtechnische Lösungen zu vertretbaren Kosten realisieren zu können. Wasserstoff kann zudem zur Erzeugung von SNG (synthetic natural gas) und zur stofflichen Nutzung im Industriesektor, beispielsweise für Raffinerieprozesse, eingesetzt und schlussendlich auch direkt als Treibstoff in der Brennstoffzellenmobilität genutzt werden.

Derzeit gibt es noch keinen festen Maßnahmenkatalog zum Einsatz erneuerbaren Stroms im Verkehrssektor. Allerdings verfolgt auch die Landesregierung ein Modellprojekt, nämlich das Projekt „Lautlos & einsatzbereit“ der Polizei Niedersachsen, die ihren Fuhrpark nach und nach auch auf elektrische Antriebe umstellt. Ein anderes Modellprojekt ist der Alstom Wasserstoffzug Coradia iLint, der weltweit einzige brennstoffzellenbetriebene Personenzug, der demnächst auf der Strecke Buxtehude–Bremervörde–Bremerhaven–Cuxhaven in den Probebetrieb mit Fahrgästen geht. Die Erzeugung von EE-Kerosin aus Wind-Wasserstoff wie auch die Notwendigkeit der Errichtung neuer Wasserstofftankstellen sind ebenfalls im Fokus der Landesregierung.

Artikel-Informationen

erstellt am:
22.06.2018

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