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Der günstige Erhaltungszustand

Deutschland ist gemäß der FFH-Richtlinie dazu verpflichtet, Wölfe zu schützen sowie deren Lebensräume zu sichern, um einen günstigen Erhaltungszustand der Art zu gewährleisten.

Die Wölfe in Deutschland und in der westlichen Hälfte Polens gehören der sogenannten mitteleuropäischen bzw. zentraleuropäischen Flachlandpopulation an, die sich mittlerweile bis in den Norden von Tschechien, nach Dänemark und in die Benelux-Staaten ausgebreitet hat. Ihr Ursprung ist die baltische Population. Im Jahr 2018 wurde der Bestand der mitteleuropäischen Flachlandpopulation von der IUCN auf 780-1030 Individuen geschätzt (einkalkuliert werden nur geschlechtsreife Tiere) und der Gefährdungsstatus folglich auf „Ungefährdet“ herabgestuft.

Grafische Darstellung der Wolfterritorien in Deutschland 2021/2022 Bildrechte: BfN

Wie viele Wölfe gibt es aktuell in Deutschland?

Im Monitoringjahr 2021/22 wurden in Deutschland 161 Wolfsrudel, 43 territoriale Paare und 21 territoriale Einzeltiere nachgewiesen. Im abgeschlossenen Monitoringjahr wurden in den bestätigten Wolfsterritorien insgesamt 1175 Wolfsindividuen nachgewiesen: 423 adulte Wölfe, 550 Welpen (Wölfe im 1. Lebensjahr) und 98 Jährlinge (Wölfe im 2. Lebensjahr).
Bei 57 Individuen war nicht eindeutig zu ermitteln, ob es sich um adulte Wölfe oder Jährlinge gehandelt hat; bei 7 Individuen war nicht sicher, ob sie Jährlinge oder Welpen waren. Bei weiteren 40 Individuen konnte das Alter nicht bestimmt werden. Das aktuelle Verbreitungsgebiet des deutschen Wolfsbestands erstreckt sich schwerpunktmäßig von der Lausitz ausgehend nach Nordwesten bis nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Mehrere dieser Rudel haben ihr Territorium grenzübergreifend in zwei oder sogar drei Bundesländern.


In welchem Erhaltungszustand befindet sich der Wolf aktuell?

Im letzten Nationalen FFH-Bericht von 2019, der sich auf den Berichtszeitraum 2013-2018 bezieht, wurde der Erhaltungszustand des Wolfs in Deutschland sowohl für die kontinentale als auch atlantische Region mit „ungünstig-schlecht“ bewertet.

Die Parameter „natürliches Verbreitungsgebiet“ und „Population“ wurde (sowohl für die atlantischen als auch kontinentale Region) seitens des Bundes mit „ungünstig-schlecht“ bewertet, weil die festgelegten günstigen Referenzwerte eines „günstigen natürlichen Verbreitungsgebiets“ und einer „günstigen Gesamtpopulation“ viel größer als das aktuelle natürliche Verbreitungsgebiet bzw. die aktuelle Gesamtpopulation waren. Die Gesamtbewertung des Parameters „Habitat“ wurde als „ungünstig-unzureichend“ angegeben. Für eine „günstige“ Bewertung müsste die Fläche des genutzten Habitats ausreichend groß und stabil oder zunehmend und die Qualität des genutzten Habitats ausreichend für den langfristigen Erhalt der Art sein. Die Bewertung der Zukunftsaussichten ist „ungünstig-unzureichend“. Der Gesamttrend ist beim Wolf in beiden Regionen mit „sich verbessernd“ eingestuft worden.

Bewertung des Erhaltungszustandes für den Wolf in Deutschland – Nationaler FFH-Bericht 2019, erstellt durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Quelle: Auszug aus NuL, 96. Jahrgang (2021)   Bildrechte: BfN
Bewertung des Erhaltungszustandes für den Wolf in Deutschland – Nationaler FFH-Bericht 2019, erstellt durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Quelle: Auszug aus NuL, 96. Jahrgang (2021)

Wie genau erfolgt die Bewertung des Erhaltungszustandes?

Nach den Anforderungen der FFH-Richtlinie befindet sich eine Art in einem günstigen Erhaltungszustand, wenn aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, und das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern.

Der günstige Erhaltungszustand wird anhand der folgenden Parameter eingeschätzt und zu einem Gesamtwert zusammengeführt:

  • Verbreitung
  • Population
  • Habitat
  • Zukunftsaussichten

Bei der Ermittlung des Gesamturteils ist wesentlich, welches dieser vier Einzelmerkmale am schlechtesten ausgeprägt ist.

Die räumliche Ebene für die Einschätzung des Erhaltungszustandes nach der FFH-Richtlinie ist die biogeografische Region innerhalb eines Mitgliedsstaates. Deutschland ist Teil der atlantischen, kontinentalen und alpinen Region. Der Großteil der niedersächsischen Landesfläche zählt zur atlantischen Region, wohingegen bereits südliche und östliche Bereiche des Landes der kontinentalen Region zugeordnet werden. Für die Bewertung der Parameter „Verbreitung“ und „Population“ werden Referenzwerte herangezogen. Um einschätzen zu können, ob das Verbreitungsgebiet und die Population ausreichend groß sind, um als „günstig“ eingestuft zu werden, sollen die Mitgliedstaaten Schwellenwerte dafür benennen.

Die Ableitung der Referenzwerte stützt sich auf Ausführungen der von Linnell et al. (2008) erarbeiteten „Leitlinien für Managementpläne auf Populationsebene für Großkarnivoren“, die zwar rechtlich nicht bindend sind, aber von der EU-Kommission als beste fachliche Grundlage angesehen werden. Den Leitlinien zufolge wird der Begriff des günstigen Erhaltungszustandes folgendermaßen definiert:

Eine Population ist in einem günstigen Erhaltungszustand, wenn

  • sie stabil ist oder zunimmt,
  • sie genügend geeigneten Lebensraum zur Verfügung hat und dies voraussichtlich auch in Zukunft der Fall sein wird, - dieser Lebensraum seine Qualität beibehalten wird,
  • die Größe der günstigen Referenzpopulation erreicht ist,
  • die Population und das Verbreitungsgebiet so groß sind wie oder größer als zu dem Zeitpunkt, als die Richtlinie in Kraft trat,
  • das günstige Verbreitungsgebiet besetzt ist,
  • ein Austausch von Individuen innerhalb der Population bzw. zwischen Populationen erfolgt oder gefördert wird,
  • ein effizientes und robustes Monitoring etabliert ist.

Gemäß den Leitlinien bezieht sich der in der FFH-Richtlinie verwendete Begriff der „Population“ bei Großraubtieren korrekterweise auf eine Subpopulation, die zusammen mit benachbarten Subpopulationen eine größere Metapopulation bildet.


Das günstige Verbreitungsgebiet

Als günstiges Verbreitungsgebiet ist gemäß den o.g. Leitlinien gemeint, das von der Population benötigt wird, um das langfristige Überleben der Art zu ermöglichen und somit den günstigen Erhaltungszustand zu erreichen. Dieses muss folgende Kriterien erfüllen:

  • Das Verbreitungsgebiet ist größer als das Mindestareal zur Erhaltung der Referenzpopulation (da innerhalb des günstigen Verbreitungsgebiets nicht alle Gebiete gleich gut geeignet sind) UND
  • es stellt eine zusammenhängende Verbreitung der Population sicher UND
  • gewährleistet eine Vernetzung mit anderen Populationen.

Grundsätzlich ist die Beurteilung der Habitatqualität von zentraler Bedeutung für die Festlegung des geeigneten Referenzgebietes. Wölfe sind jedoch Habitatgeneralisten, die keine spezifischen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen und äußerst tolerant gegenüber anthropogenen Aktivitäten und Einflüssen sind. Aufgrund dessen kommen sie prinzipiell fast überall in unserer Kulturlandschaft zurecht, wo sie Rückzugsräume in Form von ruhigen Waldabschnitten und genügend Beutetiere finden.

Linnell et al. (2008) machen allerdings im Rahmen der Leitlinien deutlich, dass nicht nur die ökologische Tragfähigkeit für die Existenz von großen Beutegreifern von Bedeutung ist, sondern diese vor allem von der sozialen Tragfähigkeit abhängt, d. h. die Anzahl an Wölfen, welche die Gesellschaft akzeptiert. Die soziale Tragfähigkeit befindet sich meist unterhalb der ökologischen Tragfähigkeit und stellt letztlich den einzigen limitierenden Faktor in Hinblick auf die Verbreitung der Wölfe in Europa dar.


Die günstige Referenzpopulation

Die günstige Referenzpopulation ist die Population in einer bestimmten biogeografischen Region, die als die minimale Population angesehen wird, die erforderlich ist, um die langfristige Lebensfähigkeit der Art zu gewährleisten. Gemäß den EU-Leitlinien wird die Definition der günstigen Referenzpopulation an folgende Bedingungen geknüpft:

  • Die Population muss mindestens so groß sein wie zu dem Zeitpunkt, als die FFH-Richtlinie in Kraft trat UND
  • sie muss mindestens so groß sein wie die kleinste überlebensfähige Population nach den International Union for Conservation of Nature (IUCN)
  • Kriterien D (Anzahl adulte Tiere; beim Wolf mehr als 1000 erwachsene Individuen) oder E (Aussterbewahrscheinlichkeit; beim Wolf weniger als 10 % in den nächsten 100 Jahren) UND
  • die Population ist Gegenstand eines ständigen robusten Monitorings.

Ergebnis der Studie zur potentiellen Verbreitung des Wolfs in Deutschland: (https://www.bfn.de/sites/default/files/BfN/service/Dokumente/skripten/skript556.pdf) Bildrechte: BfN
Ergebnis der Studie zur potentiellen Verbreitung des Wolfs in Deutschland

Wann ist der günstige Erhaltungszustand erreicht?

Laut den Expertinnen und Experten der Initiative für Großraubtiere in Europa (LCIE) ist der günstige Erhaltungszustand einer isolierten Wolfspopulation mit etwa 1000 adulten Individuen erreicht. Damit eine Population jedoch auch dauerhaft überlebensfähig ist, kommt der Verbindung einer Population mit ihren benachbarten Populationen bei der Einschätzung des Gefährdungsstatus eine besondere Bedeutung zu. Ist eine Population mit anderen Populationen so vernetzt, dass die Zuwanderer eine genetische und demographische Wirkung (d.h. positive Effekte auf die genetische Variabilität und die Geburten- bzw. Sterberaten) haben, so kann ein Bestand von mehr als 250 Tieren ausreichen, um den Bestand als „nicht gefährdet“ einzustufen.

Der Bund (BMUV) definiert für den Wolf das Erreichen des günstigen Erhaltungszustands wie folgt: “Wölfe leben jetzt und auch in Zukunft überall dort, wo sie von Natur aus leben können; der Lebensraum und das Nahrungsangebot jetzt und auch zukünftig wird ausreichen, um das Überleben der Wölfe langfristig zu sichern. Die Anzahl der Wölfe ist außerdem ausreichend groß, dass die Wölfe auch in Zukunft nicht wieder aussterben können, zum Beispiel durch Krankheiten, Verkehrsunfälle oder Wilderei.”

Eine im Auftrag des Bundes durchgeführte Studie von Kramer-Schadt et al. 2020 zur Erfassung des geeigneten Lebensraums zeigt, dass eine nahezu flächendeckende Verbreitung von Wölfen in Deutschland in Hinblick auf die ökologischen Gegebenheiten möglich ist. Basierend auf der relativen Habitateignung wurde im Rahmen der Studie zudem die Anzahl der potentiellen Wolfsterritorien in Deutschland geschätzt. Als Grundannahme wurde eine Territoriumsgröße von 200 km² zugrunde gelegt, was der aktuellen durchschnittlichen Territoriumsgröße in Deutschland entspricht. Die Ergebnisse der Studie zeigen je nach Schwellenwert und Modell ein geschätztes Potential für ca. 700-1400 Wolfsterritorien. Ausgehend von einer durchschnittlichen Rudelgröße in Mitteleuropa von sechs Tieren, entspräche dies einer Bestandsgröße von 4.200 – 8.400 Wölfen in Deutschland.

Neben der ökologischen Tragfähigkeit ist letztlich die soziale Tragfähigkeit von entscheidender Bedeutung für das Überleben von Großraubtieren, da sie eine Vielzahl von Konflikten verursachen. Ohne die Bereitschaft der Bevölkerung, mit dieser Tierart zusammenleben zu wollen und die mit ihrer Anwesenheit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Kosten (z.B. Schäden an Nutztieren, Konkurrenz um Wild, Angst) zu tragen, ist es nicht möglich, das langfristige Überleben der Art zu sichern. Dieser wichtige und im Zuge der Einschätzung des günstigen Erhaltungszustandes unberücksichtigte Faktor hat demnach nicht nur negative Auswirkung auf das angestrebte “günstige Verbreitungsgebiet” sondern auch auf das Kriterium “Zukunftsaussichten”. Es ist daher weder artenschutzfachlich notwendig noch sinnvoll, dass alle potentiellen Habitate durch Wölfe besiedelt werden.

Modellbasierte Populationsstudie zum Wolf

Das Land Niedersachsen hat eine modellbasierte Populationsstudie über den Wolf in Niedersachsen als Teilaspekt zum Erhaltungszustand in Deutschland im Jahr 2021 in Auftrag gegeben, welche durch die Universität für Bodenkultur Wien, kurz BOKU, am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft erarbeitet wurde.

In der Studie wurde der Wolfsbestand in Niedersachsen sowie in Deutschland (exkl. Niedersachsen) ausgehend vom Jahr 2015 bis zum Jahr 2045 simuliert. Dabei wurden 23 Szenarien implementiert, welche die Auswirkungen verschiedener Gegebenheiten auf den Endbestand beschreiben. Für die Modellierung der Simulation wurde eine Populationsgefährdungsanalyse (PVA) erstellt, sodass die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Population erfasst werden kann. Um die Gegebenheiten bestmöglich zu modellieren, wurde die PVA stadienbasiert, d.h. auf Grundlage der Lebensstadien der Wölfe (Welpe, Jährling, Subdominant, Disperser – „Wanderwölfe“, Territorial) anhand eines eigens entwickelten, auf Literaturwerten beruhenden Lebenszyklusmodells durchgeführt. Zunächst wurde ein Standardszenario erstellt, bei dem die Simulation auf realistischen Werten basiert und welches für den Vergleich mit anderen Szenarien verwendet wurde. Der Ausgangsbestands im Jahr 2015 basiert auf den tatsächlich nachgewiesenen Individuen des Bestands. Die Ergebnisse der PVA wurden sowohl anhand von demographischen als auch genetischen Parametern analysiert und interpretiert. Zwei Sensitivitätsanalysen wurden durchgeführt, um Effekte der Eingangsparameter der Simulation auf den Wolfsbestand zu evaluieren.

Die festgestellten Wolfsterritorien in Deutschland in den Monitoringjahren 2000/01 bis 2020/21 lassen sich sehr gut mit einer exponentiellen Zunahme beschreiben. Auf Basis der Habitateignungsanalyse von Kramer-Schadt et al. (2020) konnte unter Annahme eines gleichbleibenden Wachstums von bundesweit 32% prognostiziert werden, dass die maximale ökologische Kapazitätsgrenze von 1408 Territorien in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit (89,6 %) im Jahr 2030 erreicht wird. Für Niedersachsen entspricht das, je nach Modell, 175 bis 205 Territorien (1120-1312 Wölfe).

In den durchgeführten Simulationen zeigte sich eine hohe Relevanz der Mortalität territorialer Tiere sowie der von Wölfen, die ihr Geburtsterritorium verlassen (sogenannte Disperser). Bei erhöhter Mortalität in diesen Lebensstadien ergaben sich Szenarien mit hohen Aussterbewahrscheinlichkeiten. Alle Szenarien (bis auf jene mit erhöhten Mortalitäten) resultieren in guter genetischer Diversität, vergleichbar mit jener des Ausgangsbestands im Jahr 2015. Die Immigration in den niedersächsischen Bestand aus dem restlichen Deutschland scheint dabei für die Aufrechterhaltung der genetischen Diversität eine bedeutende Rolle zu spielen. Die Mortalität territorialer Tiere sowie der Disperser, sogenannte „Wanderwölfe“, übt dabei den größten Einfluss auf die genetische Diversität aus. Anhand der Sensitivitätsanalyse konnte die Effektstärke einzelner Parameter ermittelt werden. Dabei zeigte sich, dass die jährliche Mortalitätsrate als auch die Anzahl an reproduzierenden Weibchen einen starken Effekt auf den Bestand haben.

Die Ergebnisse der Studie ermöglichen eine Abschätzung der Auswirkung verschiedener Szenarien auf die Entwicklung des niedersächsischen und deutschen Wolfsbestands. Sie stellt durch die Präsentation von potentiell realistischen Szenarien eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung eines adaptiven Wolfsmanagements in Niedersachsen dar. Um realistische Annahmen treffen zu können, müssen die Daten für die Analysen so aktuell wie möglich gehalten werden.

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