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Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung:Sind Begegnungen zwischen Wolf und Mensch Normalität und als problemlos einzustufen?

Sind Begegnungen zwischen Wolf und Mensch Normalität und als problemlos einzustufen?


Kleine Anfrage d. Abg. Winkelmann, Angermann, Bäumer, Dr. Deneke-Jöhrens, Focke, Klopp, Miesner, Bock, Dammann-Tamke, Große Macke, Oesterhelweg, Thiele (CDU)

LT-Az.: 17/3346


Fachleute zweifeln an der These, es gebe in Niedersachsen lediglich ein oder zwei „Problemwölfe“. Besonders in der Nähe der Truppenübungsplätze, auf denen nachweislich hohe Wolfspopulationen zugegen sind, häufen sich die Begegnungen zwischen Menschen und dem Raubtier. So sind regelmäßig in der Lokalpresse Berichte zu finden, wonach sich Wölfe allein oder in Gruppen ohne Scheu Siedlungen, Spaziergängern oder Autos nähern.

Daher fragen wir die Landesregierung:

1. In wie vielen Einzelfällen und in welchen Landkreisen wurden Wölfe einzeln oder in Gruppen in Ortschaften, auf Hofstellen oder in der Nähe von Kindergärten gesichtet?

2. Hält die Landesregierung an der Auffassung fest, dass regelmäßige Begegnungen zwischen Wolf und Mensch in Ortschaften oder der freien Natur als für den Menschen risikolos einzustufen sind?

3. Wie bewertet die Landesregierung den jüngsten Bericht über einen potenziellen Wolfsangriff auf einen Jäger in der Göhrde, über den das Jägermagazin auf seiner Internetseite mit Datum vom 08.04.2015 berichtet?

4. Wie bewertet die Landesregierung die vermehrt festzustellenden Begegnungen zwischen Wolf und Mensch im Hinblick auf potenzielle Gefahren für Reiter?

5. Bis zu welcher Anzahl an Wölfen kann nach Auffassung der Landesregierung die Population in Niedersachsen anwachsen, ohne ein Problem für Gesellschaft und Weidetierhalter zu werden?

6. Vertritt die Landesregierung den Standpunkt, dass Wölfe in allen Teilen Niedersachsens heimisch werden sollen, oder ist es geboten, regional „wolfsfreie Gebiete“ zu definieren, in denen Wölfe aufgrund zu hoher Besiedelungsdichte oder nichtdurchführbarer Übergriffprävention auf Weidetiere generell der Natur entnommen werden sollten?

7. Welche Kriterien müssen aus Sicht der Landesregierung erfüllt sein, damit zum Schutz von Menschen eine Begrenzung des Wolfsbestandes erforderlich erscheint?


Wölfe sind große Beutegreifer, gemeinsam mit Bär, Luchs und Mensch stehen sie in Europa an der Spitze der Nahrungspyramide. Das bedeutet, dass sie in der Natur bei uns keine direkten Feinde zu fürchten haben, und auch von diesen ist einzig der Mensch der Feind, der Wölfen aus eigenem Antrieb nachstellt – und das auch erst seit der Jungsteinzeit, seit dem Beginn der Nutztierhaltung, einer evolutionär betrachtet sehr kurzen Zeitspanne. Somit hat der Wolf – evolutionär betrachtet – in Europa „nichts zu befürchten“. Als psychische Grundausstattung bringt der Wolf daher keine „Scheu“ mit, die Verwendung dieses Begriffs ist missverständlich, besser spricht man von Vorsicht. Vorsicht ist ein Verhalten, das dazu dient, Schaden am eigenen Körper zu vermeiden; Grundlage für vorsichtiges Verhalten ist in hohem Umfang die eigene Erfahrung – das ist bei Wölfen nicht anders als bei Menschen. Erfahrungen aber muss jedes Individuum selber machen, daher erscheinen Jungwölfe – auch wenn sie schon fast so groß sind, wie ihre Eltern – dem Beobachter sehr unbedarft und neugierig.


Das ist auch der Grund für bislang ausnahmslos alle sogenannten Nahbegegnungen zwischen Wölfen und Menschen in Niedersachsen. Dieses Interesse erfährt noch einmal eine Steigerung wenn andere Tiere, zumal Hunde, mit im Spiel sind, denn diese zu begrüßen ist jedes Jungwolfes Pflicht.


Unterscheiden muss man klar zwischen der Annäherung an menschliche Strukturen (Gebäude, Gärten, Ortschaften) und Fahrzeuge (Autos, Traktoren, Panzer u.ä.) und derjenigen an Menschen ohne eine solche Fahrzeug- oder Gebäudehülle. Nur letztere sind tatsächlich als Annäherung an Menschen zu werten, denn nur der Mensch als solcher ist für den Wolf als Lebewesen erkennbar.


Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:


Zu 1:


In den dem MU gemeldeten Fällen in Niedersachsen ist 17-mal in näherer Umgebung von Gebäuden eine Sichtung erfolgt, eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Gebäudetypen macht hierbei keinen Sinn.


93-mal erfolgten Sichtungen in der Nähe von Fahrzeugen, 10-mal von Radfahrern, 47-mal in der Nähe von Menschen, die sich außerhalb eines Hauses oder Fahrzeuges befanden, wobei in 11 Fällen von diesen Personen ein oder mehrere Hunde mitgeführt wurden.


Dabei wurde bei der Begegnung mit Menschen, die sich außerhalb eines Hauses oder Fahrzeuges befanden, in 30 Fällen eine Distanz von 30 Metern unterschritten, davon in 18 Fällen eine solche von 10 Metern.


Insgesamt 238 registrierte Beobachtungen entfielen dabei auf die Landkreise
Cloppenburg (15), Cuxhaven (16), Diepholz (2), Emsland (2), Heidekreis (57), Leer (3), Lüneburg (24), Nienburg (15), Oldenburg (5), Peine (1), Rotenburg/W. (7), Uelzen (87) und Vechta (2); bei zwei Beobachtungen wurden keine Angaben zum Landkreis gemacht. Ob es sich bei den Beobachtungen jeweils tatsächlich um Wölfe gehandelt hat, könnten nur dabei angefertigte Fotos oder ein DNA-Test zeigen. Im Rahmen der Rißbeurteilung wurde in knapp zwei Dritteln der Fälle der Wolf als Verursacher festgestellt.


Zu 2:


Solange es sich um Begegnungen der Art handelt, wie sie bisher berichtet wurden: ja.


Begegnungen anderer Qualität mit Aggressions- oder Beutefangintentionen konnten bisher nicht glaubhaft geschildert oder belegt werden.




Zu 3:


Der von diesem Jäger geschilderte Vorgang wurde von der Landesregierung sehr ernst genommen, stellte er doch einen möglichen Paradigmenwechsel im Verhalten freilebender Wölfe in Deutschland dar.


Allerdings zeichneten sich bereits in der Darstellung des Berichterstatters sowohl innerhalb der ersten Darstellung als auch zwischen den Darstellungen einige Zweifel an deren Richtigkeit ab. Fachkräfte der Polizei haben zusätzlich zu der Protokollierung des Vorfalls im Rahmen des Wolfsmonitorings die Aussage vor Ort aufgenommen und dokumentiert. Um jeden möglichen Hinweis auf das tatsächliche Geschehen zu ergründen, wurde in unmittelbarer zeitlicher Folge ein Fachmann für Tierspuren mit der genauen Analyse der Spurenlage am Ort des Geschehens und dessen näherer Umgebung beauftragt.


Diese Spurensuche erbrachte eine Vielzahl verschiedener und verschieden alter Tier- und Menschenspuren.


Unter den Spuren in unmittelbarer Umgebung des Orts des geschilderten Geschehens fand sich keine Wolfsfährte.


Eine Canidenfährte fand sich dagegen in der weiteren Umgebung. Diese war sehr gut verfolgbar, ihr Verlauf wäre ohne Störung in einigem Abstand zum Hochsitz in gerader Linie an diesem vorbei gelaufen, wies aber eine deutliche Abweichung weg vom Hochsitz auf, der in einem ungefähren Halbkreis vom Caniden umschlagen wurde, bevor dieser seine vorher eingeschlagene Richtung wieder aufnahm. Die von dem Jäger geschilderten Entfernungen konnten an keiner Stelle des Spurverlaufs bestätigt werden. Am Ort des Geschehens festgestellte Tierhaare wurden genetisch untersucht und konnten einem Fuchs zugeordnet werden.


Im Ergebnis muss festgestellt werden, dass die Schilderungen des Jägers mit den durch Spuren nachvollziehbaren tatsächlichen Vorkommnissen nicht in Übereinstimmung zu bringen sind.


Zu 4:


Unter den geschilderten Begegnungen zwischen Wolf und Mensch waren auch solche mit Menschen zu Pferd. Keine dieser Begegnungen wurde von den betreffenden Reitern als bedrohlich geschildert, vielmehr wurden unisono die beteiligten Wölfe als „interessiert / entspannt“ bezeichnet.


Dies ist ein Verhalten, das Reitern, die sich viel im Gelände aufhalten, auch von vielen anderen Wildtieren sehr vertraut ist. Schilderungen von Erlebnissen, bei denen man zu Pferd mitten durch eine – unbeeindruckte – Rotte Wildschweine reiten konnte, oder sich Rehe oder Hirsche aus nächster Nähe betrachten ließen, gibt es unter Reitern in großer Zahl.


Eine erhöhte Gefährdung von Reitern durch Wölfe wird daher nicht erwartet, es sei denn, der Reiter selbst oder sein Reittier reagieren panisch. Das ist aber eine Gefahr, die genauso von jedem anderen Tier, Mensch, Fahrzeug oder Gegenstand (Plastiktüte im Wind) ausgelöst werden kann.


Zu 5:


Über die absolute Höhe einer „niedersächsischen“ Wolfspopulation liegen keine wissenschaftlich abgesicherten Vorstellungen oder Einschätzungen vor. Es muss festgehalten werden, dass es keine „niedersächsische“ Population gibt oder je geben wird. Niedersachsen ist ein kleiner Teil des potenziellen Siedlungsgebiets der westpolnisch-zentraleuropäischen Wolfspopulation. Diese ist bisher von den anderen Europäischen Wolfspopulationen genetisch klar unterschieden und allein aus diesem Grunde auch getrennt zu betrachten.


Ein Problem für Weidetierhalter kann schon eine Population von einem Tier darstellen, wenn die Weidetiere nicht in adäquater Weise gegen Wolfsangriffe geschützt werden.


Tierhalter in Deutschland, auch in Niedersachsen, die entsprechende Präventionsmaßnahmen umgesetzt haben, hatten nur noch in Ausnahmefällen Wolfsangriffe zu beklagen.


Die „Richtlinie Wolf“, die diese Fragen regelt, ist ein veränderbares System: sowohl die Förderkulisse als auch die Inhalte werden der tatsächlichen Situation im Land nach Bedarf angepasst. Auf mittlere Sicht sollte also eine Wolfspopulation für Nutztierhalter keine Bedrohung darstellen.


Probleme für die Gesellschaft können durch Habituierung oder Gewöhnung des Wolfs entstehen, auslösbar vor allem durch positive Erfahrungen, die das jeweilige Tier mit Menschen macht (Futter, aktive Annäherung von Menschen, meist um zu fotografieren). Derartige Aktivitäten sollten daher unbedingt vermieden werden.




Zu 6:


Die Landesregierung vertritt hier keine andere Position als die durch die Rechtslage vorgegebene. Der Wolf ist eine überall in Zentraleuropa besonders geschützte Art, die in ihrer Lebensqualität nicht beeinträchtigt werden darf. „Wolfsfreie Gebiete“ sind allein aus dem Verhalten der Wölfe, deren Nachwuchs regelmäßig abwandern muss, nicht gut denkbar, es sei denn, bei Überschreiten einer für den Wolf nicht wahrnehmbaren Grenze wird jedes Tier getötet. Das war in Deutschland vor dem Fall der Mauer der Fall. Auch später noch wurden Wölfe in Deutschland, auch in Niedersachsen, geschossen – allerdings mit durchaus negativen Folgen für den Schützen.


Eine „zu hohe“ Besiedlungsdichte ist bei Wölfen nirgends zu erwarten. Dichte wird definiert als Tiereinheiten je Flächeneinheit. Ein Anwachsen dieses Verhältnisses wird durch die Sozialstruktur dieser Tierart verhindert, denn ein Rudel besteht nun einmal immer aus dem Elternpaar und seinem in der Regel nicht mehr als zweijährigen Nachwuchs. Ein Rudel ist also immer eine Familie, die aber beansprucht auch unter den in Niedersachsen herrschenden Verhältnissen – mit den auf ganzer Fläche höchsten jemals vorhandenen Wilddichten – ein Familienterritorium von 200 – 350 km³. Dieses Territorium wird gegen das Eindringen fremder Wölfe verteidigt.


Präventionsmaßnahmen gegen Wolfsangriffe sind grundsätzlich immer möglich, es sind allerdings Situationen denkbar, in denen die Präventionsmaßnahmen wirtschaftlich für den Tierhalter nicht mehr tragbar erscheinen. Für diese Situationen muss nach Lösungen gesucht werden. Dabei darf es generell keine Denkverbote geben. Ein regelmäßiger Wolfsabschuss aber müsste, um bei der hohen Mobilität der Tiere überhaupt eine Wirkung zu erzielen, sehr großräumig erfolgen und alle Wölfe eliminieren. Das ist aber mit den bestehenden Artenschutzbestimmungen nicht in Übereinstimmung zu bringen. Der Abschuss von Einzeltieren dagegen hätte hinsichtlich des Herdenschutzes keine positive Wirkung, im Gegenteil: amerikanische Untersuchungen haben gezeigt, dass ein solches Vorgehen zu deutlich erhöhten Risszahlen bei Haustieren führt. Vor allem wenn die erfahrenen Alttiere geschossen werden, halten sich die Jungtiere verstärkt an die leicht erreichbare Beute Nutztier.


Zu 7:


Keine. Der Schutz von Menschen hat immer höchste Priorität. Im Falle einer tatsächlichen Gefahrensituation, also bei Auftreten sogenannter „Problemwölfe“, ist jederzeit eine Entnahme aus der Natur möglich und auch vorgesehen.



Solche Problemwölfe definieren sich durch zwei Hauptkriterien:


A. Aggressivität gegen Menschen und/oder


B. Spezialisierung auf hinreichend gegen Wolfsangriffe geschützte Nutztiere.


Keines dieser beiden Kriterien wurde in Deutschland bisher von einem Wolf erfüllt. Die dem Menschen verstärkt aufgefallenen und auffallenden Wölfe fallen bislang alle unter die Kategorie „Jugendlicher auf der Suche nach den eigenen Grenzen“.










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