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Elbe-Hochwasser 2006

Erklärung von Umweltminister Hans-Heinrich Sander im Rahmen der öffentlichen Sitzung des Innen- und des Umweltausschusses im Niedersächsischen Landtag am 03. Mai 2006


(Es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrte Herren Vorsitzende,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

sehr geehrte Damen und Herren,

eingangs möchte ich mich dem von meinem Kollegen Innenminister Schünemann ausgesprochenen Dank anschließen und die Deichverbände und die Wasserwirtschaftsverwaltung ausdrücklich mit einbeziehen.

Die ersten Meldungen vom Hochwasser der Elbe erreichten uns am 27.03.2006 vom Pegel Usti in Tschechien. Der Hochwasserscheitel in Dresden war deutlich niedriger als im Jahr 2002. Er lag rund 2 Meter unter dem damaligen Stand.

Deshalb gingen alle Prognosen – die selbstverständlich von stabilen Deichen ausgingen- zu diesem Zeitpunkt auch von niedrigeren Wasserständen bei uns aus. Doch die Eigenhochwasser der Nebenflüsse, die sich vor und auf das Elbehochwasser setzten, führten unter anderem dazu, dass die Welle im Unterlauf früher und höher eintraf als zu Beginn prognostiziert.

Gemäß § 52 NWG bereitet der NLWKN im Rahmen des gewässerkundlichen Landesdienstes im Hochwasserfall die zur Verfügung stehenden Pegelwerte und Prognosen auf und erstellt erforderlichenfalls ergänzende Vorhersagen. Darüber hinaus unterstützen die Fachberater des NLWKN die Deichverbände bei ihren Aufgaben.

Grundlage für die Prognosen des NLWKN sind die Vorhersagen der Hochwasser-Vorhersagezentrale Elbe in Magdeburg. Diese Zentrale hatte am 30. März für den Pegel Neu-Darchau - das ist der für unseren Elbeabschnitt zwischen Schnackenburg und Geesthacht maßgebliche Pegel - für den 7. April einen Wasserstand von 6,30 m vorhergesagt. Auf dieser Grundlage hat der NLWKN am 30. März eigene Berechnungen für 10 Pegel in dem Elbeabschnitt angestellt und für den 9. April einen Wasserstand von 7,00 m am Pegel Neu-Darchau und 7,20 m für den Pegel Hitzacker prognostiziert. Diese Hochwassermeldung des NLWKN wurde per E-Mail unter anderem an die Landkreise Lüchow-Dannenberg, Lüneburg und Harburg sowie an die dortigen Deichverbände, die Samtgemeinde Hitzacker, die Polizeidirektion Lüneburg und an das Umweltministerium gesendet. In ihrer Ausgabe vom 1. April hat die Elbe-Jeetzel-Zeitung über die Prognose berichtet und auf Auswirkungen und Maßnahmen hingewiesen.

Auf Grund der Auswirkungen des Augusthochwassers 2002 und des Winterhochwassers 2003 musste den Verantwortlichen der Stadt und den Anwohnern bereits zu diesem Zeitpunkt klar sein, dass Vorkehrungen zu treffen waren.

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass das Land nicht zu spät über die Entwicklung der Hochwasserlage informiert hat.

Ich hatte im Umweltausschuss das Wasserstandsvorhersagemodell WAVOS Elbe erläutert. Die Entwicklung dieses Modells ist eine der Konsequenzen aus dem Hochwasser von 2002. Hierzu möchte ich folgendes ergänzen:

Im Jahre 2002 wurde mit dem Rechenmodell ELBA gearbeitet, das mehr auf Erfahrungswerten basiert. Der Abfluss der Elbe wurde mit den in sie mündenden Nebenflüssen von Pegel zu Pegel berechnet und mit den aus Erfahrung bestehenden "Wasserstands-Abfluss-Kurven" abgeglichen.

Meine Mitarbeiter haben die Vorhersagen 2002 und 2006 verglichen und kommen zu folgendem Ergebnis: Im Jahr 2002 wiesen für den Standort Neu Darchau die Ist-Stände an 9 von 19 Tagen eine Differenz von über 10 cm im Vergleich zur Prognose des vorangegangen Tages auf. Die Hauptabweichungen standen damals im Zusammenhang mit der Flutung der Havelpolder.

Dieses Jahr hatten wir das Wasserstandsvorhersagemodell WAVOS - wie am 21. April erläutert - im provisorischen Betrieb. Vom 31. März bis 12. April gab es zwei unerklärliche Sprünge von über 10 cm vom Prognosewert. Die Prognose vom 03.04. sagte für den 04.04.06 am Pegel Neu Darchau einen Stand von 5,55 m voraus, tatsächlich aber stieg der Pegel auf 5,69 m. Für den 05.04.06 waren dann 6,10 m prognostiziert, tatsächlich erreichte der Wasserstand 6,33 m. Das bedeutete, dass das Hochwasser die Altstadt von Hitzacker einen Tag früher überflutete als vorausgesagt. Da danach die Prognosen wieder wie zuvor eine Differenz von 2 – 5 cm aufwiesen, mussten wir nach Ursachen forschen.

2002 konnte durch Flutung der Havelpolder der Hochwasser-Scheitel der Elbe um rund 40 cm gesenkt werden. Dieses Jahr war das nicht möglich, da die Havel selber viel zu hoch stand und der Elbescheitel ungewöhnlich lang war. Das wurde uns auch auf Nachfrage rechtzeitig und nachvollziehbar von Sachsen-Anhalt mitgeteilt. Was uns aber nicht rechtzeitig erreicht hat, war die Mitteilung, dass am 04.04.06 das Wehr Quitzöbel geschlossen wurde. Mit dem Ergebnis, dass die Elbe nicht mehr in den Havelschlauch entwässern konnte. Sie wurde in unsere Richtung schneller und höher. Am 05.04. wurde der Vollabschluss des Wehres wieder aufgehoben und es erfolgte ein Abfluss aus der Havel in die Elbe.

Diese beiden Tage sind die Tage, an denen es zwischen Prognosen und tatsächlichen Pegeln zu gravierenden Abweichungen gekommen ist. Wie groß der Einfluss der Aufhebung des Havelstaus war und welche anderen Faktoren, wie Regen und Wind eine Rolle spielten, werden die Experten analysieren.

Den Eindruck, der an der einen oder anderen Stelle entstanden sein mag, wir würden Brandenburg oder Sachsen-Anhalt für die Höhe des Hochwassers verantwortlich machen, ist falsch.

Meine Damen und Herren von der Opposition,

statt Vorwürfe zu formulieren, in diesem Jahr seien Prognosen falsch berechnet worden, sollten wir lieber gemeinsam daran arbeiten, die Qualität der Prognosen weiter zu verbessern.

Das werden wir tun und das Hochwasser 2006 auch im Hinblick auf eine weitere Verbesserung der Prognosen gründlich analysieren. Das ist eine der Aufgaben für die kommende Zeit.

Man muss aber immer vor Augen haben: Die Altstadt von Hitzacker fängt ab einem Wasserstand von 610 cm am Pegel Hitzacker an, überflutet zu werden. Also kann nur technischer Hochwasserschutz die Stadt vor Überflutungen schützen und nicht genauere Prognosen, so wünschenswert sie auch sind und so intensiv wir daran weiter arbeiten werden.

Anrede,

die – weiter zu verbessernde – Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern ist ein weiterer Aspekt der aktuellen Diskussion. Bei der Aufarbeitung des Elbehochwassers 2002 wurde klar, dass die Vereinbarung der Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 1993 über die Bedienung der Wehrgruppe Quitzöbel zur Abwehr von Hochwassergefahren an Elbe und Havel durch eine neue Regelung abgelöst werden sollte. In erster Linie profitieren von einer Havelflutung Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die Auswirkungen betreffen aber auch die Unterlieger. Der Staatsvertrag über die Flutung der Havelpolder und die Verteilung der Kosten soll zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt unter Einbeziehung von Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern und des Bundes erfolgen.

Brandenburg hatte als federführendes Land am 16.6.2004 zu einer Anlaufberatung eingeladen. Grundlage soll auch ein gemeinsames Gutachten der Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt sein, dem Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern zugestimmt haben. Darin sollen unter anderem Aussagen zu Organisationsform und Entschädigungsansprüchen der Landwirtschaft gemacht werden. Nach Auskunft aus Sachsen-Anhalt an meine Mitarbeiter liegen die gutachterlichen Aussagen noch nicht vor.

Der Entwurf zum Staatsvertrag wurde auf Fachebene vorbereitet und bis Ende 2004 kontinuierlich weiter beraten. Als es dann im Jahr 2005 keinen sichtbaren Fortgang gab, habe ich meinen Kollegen Woidke in Brandenburg am 11.7.2005 angeschrieben, um die Sache voranzutreiben.

Die Antwort kam am 24.11.2005: der Staatsvertrag befände sich in der Ressortabstimmung und danach würde Brandenburg wieder einladen.

Diese Einladung erfolgte am 22.2.2006 zum 10.3.2006 und fand dann auf Grund einer weiteren Terminverschiebung am 19.4.2006 in Potsdam statt. Dort wurde ein einheitlicher Entwurf für den Staatsvertrag auf Abteilungsleiter-Ebene erarbeitet, in den auf meinen Wunsch noch gemeinsame Maßnahmen für die Wehrbedienung bei Nichtflutung der Polder eingebracht wurden.

Anrede,

Sie sehen, obwohl Niedersachsen als Unterlieger hier nicht federführend ist, habe ich versucht, den Staatsvertrag voranzutreiben. Und unsere aktuellen Erfahrungen bestärken mich darin, diesen Staatsvertrag jetzt schnell unter Dach und Fach zu bringen.

Anrede,

eine weitere Frage betrifft die Aktivitäten der IKSE, der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe. Im Zeitraum von 2002 bis 2005 wurden im Rahmen der IKSE mit Zuarbeit Niedersachsens folgende Unterlagen erarbeitet:

• "Aktionsplan Hochwasserschutz Elbe"

• Dokumentation des Hochwassers vom August 2002 im

Einzugsgebiet der Elbe

• Berichte über die Erfüllung des Aktionsplans von 2002 bis 2004

Zusätzlich fanden verschiedene Workshops zur Wirkung von großen Talsperren, Hochwasserrisiken und anderen wasserwirtschaftlichen Projekten statt.

Nach Erlangen der EU-Mitgliedschaft von Tschechien und Polen im Mai 2005 wurde die IKSE neu strukturiert, um effizienter zu arbeiten.

Bis zu dieser Umstrukturierung war ein niedersächsischer Vertreter direkt in der Arbeitsgruppe Hochwasserschutz an der Erarbeitung der von mir benannten Unterlagen beteiligt. Seit August 2005 werden die Belange Niedersachsens durch den deutschen Delegationsleiter aus Sachsen-Anhalt mit wahrgenommen und gewährleistet.

Unsere Belange werden in die nationale Arbeitsgruppe Hochwasserschutz eingebracht und darüber in die der deutschen Delegation.

Anrede,

auf eine Nachfrage wurde am 21.04. im Umweltausschuss erklärt, Niedersachsen habe an allen Sitzungen teilgenommen, auch an der letzten. Diese Information meiner Fachleute wurde nach der Sitzung überprüft und wird hiermit korrigiert.

Niedersachsen hat nicht an allen Sitzungen teilgenommen. Den Hintergrund habe ich eben erläutert.

Anrede,

interessant ist natürlich, welche Maßnahmen nach 2002 im Hochwasserschutz ergriffen wurden. Zunächst zum technischen Hochwasserschutz:

Seit 2002 konnten wir im Elbeabschnitt zwischen Schnackenburg bis Geesthacht über 30 Baumaßnahmen mit einem Volumen von mehr als 50 Millionen Euro umsetzen und damit den Hochwasserschutz verbessern. Lassen Sie mich dazu beispielhaft erwähnen:

1. Im Amt Neuhaus wurde die Erneuerung der Deiche fortgeführt. Insgesamt wurden rund 32 km Elbedeiche mit Deichverteidigungswegen bis Ende 2005 fertig gestellt.

2. In Restorf wurde das Siel des Gartower Deich- und Wasserverbandes mit 1,6 Millionen Euro saniert.

3. Im Artlenburger Deichverband ist das Deckwerk am Radegaster Haken mit Kosten von 1,95 Millionen Euro wiederhergestellt worden.

4. Die Sanierung des Schöpfwerkes "Neue Sude" im Amt Neuhaus ist fast abgeschlossen. Hierfür wurden bisher rd. 1,5 Millionen Euro verausgabt.

Darüber hinaus haben wir noch weitere 26 Maßnahmen umgesetzt, die entsprechende Auflistung wurde gestern an die Landtagsverwaltung und die Fraktionen geleitet.

Wir werden unsere Anstrengungen fortsetzen, um verbleibende Schwachstellen zu beheben. Dazu hatte ich bereits am 21. April im Umweltausschuss Stellung genommen und möchte deshalb hier nur als Stichworte nennen:

- Abschluss der verbleibenden 12,5 km Deichbaumaßnahmen im Amt Neuhaus für 26,5 Millionen Euro,

- Hitzacker und Jeetzel-Niederung mit Bau von Siel, Schöpfwerk, der - vor Ort umstrittenen – Hochwassser-Schutzwand und den Jeetzel-Rückstaudeichen für insgesamt 63 Millionen Euro,

- Deichbau an der Laascher Insel,

- Deichbau an der Seege und

- Hochwasserschutz im Raum Bleckede.

Anrede,

Über die bisher dargestellten Aktivitäten hinaus hat die Landesregierung seit 2002 im vorsorgenden Hochwasserschutz im Binnenland folgendes veranlasst:

In Niedersachsen wird die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten auch weiterhin mit Nachdruck betrieben. Im Jahr 2005 wurden diese an rund 240 km Gewässerlauf festgesetzt, und an weiteren rund 1810 km befinden sie sich derzeit im Verfahren. Rund 90 % der nach unserer Auffassung erforderlichen Überschwemmungsgebiete sind schon festgelegt, wir wollen bis 2008 die Festsetzung abgeschlossen haben. Allerdings wird zur Zeit gemeinsam mit den zuständigen Wasserbehörden geprüft, ob entsprechend den Anforderungen des Gesetzes zum vorbeugenden Hochwasserschutz vom 10.05.2005 noch weitere Überschwemmungsgebiete festzusetzen sind. Wichtig ist mir bei der Ausweisung von Überschwemmungsgebieten die Öffentlichkeitsbeteiligung. Denn meine Erfahrungen haben gezeigt, dass vor Ort das meiste Wissen vorhanden ist und gerade bei diesem sensiblen Thema das auch genutzt werden muss.

Zur Umsetzung des Rahmengesetzes zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes wird derzeit von uns ein Gesetzentwurf erarbeitet. Im Rahmengesetz werden Hochwasserschutzpläne gefordert. Das ist eine sinnvolle Sache. Hinweisen möchte ich dabei darauf, dass wir in Niedersachsen bereits vor dem Gesetz mit der Ausarbeitung von Hochwasseraktionsplänen begonnen hatten, die in dieselbe Richtung gehen.

Regelungen, die dem vorbeugenden Hochwasserschutz dienen, sind auch im jetzt vorliegenden Referentenentwurf zur Novellierung des Landesraumordnungsprogramms enthalten. Diese richten sich an die für die Bauleitplanung Verantwortlichen in ganz Niedersachsen.

Anrede,

So tragen wir Verantwortung für unseren Elbabschnitt, aber auch für den weiteren Unterlieger. Im Verlauf eines Flusses tragen unterschiedliche Maßnahmen zum Schutz gegen Hochwasser bei. Im Oberlauf spielen Rückhaltemöglichkeiten wie Talsperren und Polder die entscheidende Rolle. Für die Elbe übernimmt Tschechien diese Rolle. In den Mittelläufen der Gewässer können Rückhaltemaßnahmen wie z.B. die Havelpolder den Scheitelabfluss positiv beeinflussen. Das gilt aber nur, wenn die Gesamt-Konstellation diesen Erfolg zulässt, wie im Jahr 2002. In diesem Jahr, bei gleichzeitigem extremen Hochwasser in der Elbe und ihren Nebenflüssen mit einem über 100 Kilometer langen Hochwasserscheitel, konnte eine Entlastung durch Flutung der Havelpolder nicht erreicht werden. Schon in einem Gutachten der Bundesanstalt für Gewässerkunde vom September 2002 wird dazu ausgeführt: Wenn Polderflächen nur der Retention dienen und nicht abflusswirksam sind, kann keine Entlastung bei einem sehr langen Wellenscheitel erfolgen.

Dann ist es unsere Aufgabe als Unterlieger, die ankommenden Wassermengen möglichst schnell in die Nordsee abzuführen. Schnell bedeutet, das Wasser muss möglichst ungehindert fließen können, darum sind die Maßnahmen der gezielten Entbuschung dazu ein wichtiger Baustein. Zusätzlich nehme ich auch weitergehende Hinweise von Hochwasserexperten ernst, die auf das Problem der verstärkten Sedimentablagerung im Deichvorland der Elbe hinweisen. Wir werden dem nachgehen und dann entscheiden, ob hier noch mehr getan werden muss.

Anrede,

ich hoffe, ich konnte Ihnen deutlich machen, jedes Hochwasser ist anders. Die Natur stellt uns gerade in diesem Bereich immer wieder vor neue Herausforderungen. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam immer bessere Wege zu finden, die Menschen und die Kulturlandschaft vor solchen Ereignissen zu schützen.

Artikel-Informationen

erstellt am:
03.05.2006
zuletzt aktualisiert am:
16.03.2010

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