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Antwort auf die mündliche Anfrage: Gesundheitsschutz vor Stickoxiden und Feinstaub: Wie weiter mit der Luftreinhaltung in Niedersachsens Städten?

Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Stefan Wenzel hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage des Abgeordneten Volker Bajus (Grüne) geantwortet.


Vorbemerkung des Abgeordneten


Feinstaub und Stickoxide in der Atemluft gefährden die Gesundheit von Menschen. Sie führen zu erheblichen Atemwegsbeeinträchtigungen und -schädigungen. Vorgeschädigte Personen, Kinder und ältere Menschen sind besonders gefährdet. Feinstäube werden darüber hinaus für Krebserkrankungen verantwortlich gemacht. Das Erkrankungsrisiko steigt mit der Höhe der Konzentration der Schadstoffe in der Atemluft an. Hauptquellen von Feinstaub und Stickoxiden (NOx) sind Verbrennungsprozesse; in Ballungsräumen ist der Straßenverkehr die bedeutendste NOx-Quelle.


Zum Schutz der Gesundheit hat die EU Richtlinien zur Luftqualität (96/62/EG und 2008/50/EG) und zu Grenzwerten (1999/30/EG) erlassen. Die Umsetzung in nationales Recht erfolgt über § 47 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und die 39. Bundes-Immissionsschutzverordnung.


In den größeren Städten in Niedersachsen wurden die von der EU festgelegten Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid überschritten. Daher mussten die betroffenen Städte in je eigenen Luftreinhalte- und Aktionsplänen darstellen, wie sie die Grenzwerte bis 2015 einhalten wollen. Soweit dies nicht gelungen ist, sind weitere Überschreitungen nur übergangsweise erlaubt, wenn mit zusätzlichen entsprechenden Maßnahmen die Qualitätsziele nachweislich erreicht werden können. Ansonsten droht ein Vertragsverletzungsverfahren.


Während die Einhaltung der Grenzwerte für Feinstaub nunmehr weitestgehend gelungen ist, war die Entwicklung bei Stickoxiden nicht so, wie dies durch die umgesetzten Maßnahmen der Luftreinhalte- und Aktionspläne zu erwarten war. Die Erneuerung der Fahrzeugflotte mit Fahrzeugen der formal schärferen Abgasnormen Euro 5 und 6 hat die Erwartungen nicht erfüllt.


Um die Gesundheit der Menschen in den Städten zu schützen, aber auch ein Vertragsverletzungsverfahren der EU abzuwenden, sind die betroffenen Städte nun in der Pflicht, ihre Luftreinhalte- und Aktionspläne zielführend zu überarbeiten und entsprechende neue oder verschärfte Maßnahmen umzusetzen. Wenn dies unterbleibt, haben Betroffene und Umweltverbände das Recht, gegen die Verantwortlichen zu klagen und z. B. Fahrverbote in den betroffenen Straßenzügen gerichtlich durchzusetzen.


Vorbemerkung der Landesregierung


Das deutsche Immissionsschutzrecht gibt in Umsetzung der europäischen Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG vor, dass bei der Überschreitung eines Immissionsgrenzwertes die zuständige Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen hat. In diesem sind die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung der Schadstoffbelastung festzulegen. Die Maßnahmen müssen geeignet sein, den Zeitraum, während dessen der betreffende Immissionsgrenzwert überschritten wird, so kurz wie möglich zu halten. Die Zuständigkeit für die Luftreinhalteplanung ist in Niedersachsen auf der kommunalen Ebene angesiedelt. Die Ermittlung der Luftschadstoffbelastung in Niedersachsen erfolgt durch das Lufthygienische Überwachungssystem, das von der Zentralen Unterstützungsstelle Luftreinhaltung, Lärm und Gefahrstoffe (ZUS LLG) des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Hildesheim betrieben wird. In innerörtlichen Bereichen erfolgt die Messung an verkehrlichen Belastungspunkten mittels Verkehrsmesscontainern. Für die NO2-Messungen werden zusätzlich Passivsammler eingesetzt.


Während in Niedersachsen letztmalig eine Überschreitung von Feinstaubgrenzwerten im Jahr 2006 festgestellt wurde, wird der grundsätzlich seit dem Jahr 2010 einzuhaltende Jahresimmissionsgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 µg/m3 nach wie vor – wie in anderen Bundesländern und Mitgliedstaaten der EU auch – an stark verkehrsbelasteten Stellen mit geringem Luftaustausch in Niedersachsen überschritten.


Für die niedersächsischen Gebiete mit Überschreitungen des NO2-Immissionsgrenzwertes wurde von der durch die EU-Luftqualitätsrichtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Frist, nach deren Ablauf der Immissionsgrenzwert nicht mehr überschritten werden darf, um fünf Jahre zu verlängern. Hierzu musste der Europäischen Kommission jeweils ein überarbeiteter Luftreinhalteplan vorgelegt werden, in dem zum einen eine Vielzahl an Informationen aufzunehmen und zum anderen dezidiert darzulegen war, wie die Einhaltung des Immissionsgrenzwertes vor Ablauf der neuen Frist erreicht werden soll. Alle Fristverlängerungsmitteilungen sind von der Europäischen Kommission gebilligt worden, so dass der NO2-Jahresgrenzwert ab 2015 eingehalten werden musste.


In Bezug auf mehrere Gebiete in anderen Bundesländern hatte die Europäische Kommission gegen eine Fristverlängerung Einwände erhoben. Infolgedessen hat die Europäische Kommission zwischenzeitlich gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Verstoßes gegen ihre Verpflichtungen aus der Luftqualitätsrichtlinie ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, von dem Niedersachsen nicht betroffen ist. Darüber hinaus haben Umweltverbände bereits mehrfach erfolgreich gegen die für die Luftreinhaltung zuständigen Behörden in anderen Bundesländern geklagt.


Die Messergebnisse der ZUS-LLG für das Jahr 2015 zeigen, dass es bei sieben niedersächsischen Städten zu Überschreitung des NO2-Jahresgrenzwertes gekommen ist. Die Feinstaubgrenzwerte sind hingegen wiederum niedersachsenweit eingehalten worden. Anfang April werden die evaluierten Messergebnisse vorgelegt werden.


Hauptverursacher der örtlichen NO2-Belastung sind die Emissionen von Kraftfahrzeugen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes trägt der Verkehr zu mehr als 60 % zur lokalen Belastung bei. Rund zwei Drittel der verkehrsbedingten NO2-Emissionen innerorts wurden im Jahr 2014 dabei durch Diesel-Pkw verursacht. Damit sind Dieselfahrzeuge für die häufige Nichteinhaltung der NO2-Luftqualitätsgrenzwerte an Straßen von entscheidender Bedeutung.


Wie im Zuge der Diskussionen über den Automobilabgasskandal bekannt wurde, liegen die Stickoxid-Realemissionen von Diesel-Pkw deutlich über den Grenzwerten, die auf Basis des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) auf dem Rollenprüfstand für die Typzulassung ermittelt werden. Zu der erwarteten Abnahme der Realemissionen durch die Einführung höherer EURO-Abgasstufen ist es nicht gekommen. Der Vertreter des INTERNATIONAL COUNCIL ON CLEAN TRANSPORTATION hat erst jüngst während eines Expertenworkshops zur Aufarbeitung des Automobilabgasskandals für die kommende Sonder-Umweltministerkonferenz am 7. April 2016 ausgeführt, dass die NOx-Realemissionen der von ihm getesteten EURO 6-Diesel-PKW im Durchschnitt um einen Faktor 7 höher als der Grenzwert von 80 mg/km lagen. Damit sind die Realemissionen dieser PKW im Durchschnitt sogar höher als die von EURO VI-LKW.


Der Rückgang von verkehrsbedingten NOx-Emissionen durch die Modernisierung der Fahrzeugflotte war eine wesentliche Bedingung für den Erfolg der in den Luftreinhalteplänen festgelegten Maßnahmen. Da dieser nicht wie prognostiziert eingetreten ist, kommt es trotz der in den bestehenden Luftreinhalteplänen festgelegten Minderungsmaßnahmen bundesweit nach wie vor zu der hohen NO2-Belastung.


Erst in diesem Jahr ist von der Europäischen Kommission entschieden worden, dass der für die hohen Realemissionen verantwortliche NEFZ-Fahrzyklus bei der Typprüfung von Fahrzeugen ab dem Jahr 2017 durch das RDE-Verfahren (Real Driving Emissions) ersetzt wird. Beim RDE-Verfahren werden mittels portabler Messeinrichtungen während Straßenfahrten die Schadstoffemissionen des Fahrzeuges gemessen. Erst von dieser Änderung ist zu erwarten, dass die Realemissionen von neuen Diesel-Pkw deutlich sinken werden.


Daran wird deutlich, dass die Ziele der Europäischen Union für die Luftreinhaltung, die die Einhaltung der NO2-Grenzwerte schon für das Jahr 2010 vorsahen, nicht im Einklang mit dem bisherigen Vorgehen zur Reduktion der NOx-Realemissionen von Diesel-Pkw stehen.



1. Welche Folgen würden sich aus einem Vertragsverletzungsverfahren ergeben?


Folge eines Vertragsverletzungsverfahrens muss sein, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um ein drohendes Gerichtsverfahren vor dem EuGH und damit mögliche Strafzahlungen abzuwenden.



2. Welche Maßnahmen können zielführend sein, um ein Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden und die Gesundheit betroffener Bürgerinnen und Bürger zu schützen?


Die Umweltministerkonferenz hat das Thema Luftreinhaltung mehrfach behandelt und während ihrer 28. Sitzung im November 2015 die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) gebeten, weitere Maßnahmen zur Reduzierung der NO2-Belastung zu entwickeln. Der Bericht liegt zwischenzeitlich im Entwurf vor und soll auf der Sitzung der Sonder - Umweltministerkonferenz im April 2016 behandelt werden.


Im Bericht werden sechs neue Maßnahmen als wirkungsvoll identifiziert und bewertet:


  1. Fortschreibung der Umweltzonen durch eine neue Umweltplakette
  2. emissionsunabhängige Verkehrsbeschränkung („gerade/ungerade Kennzeichen“)

  3. intelligente Citymaut

  4. Angleichung der Energiebesteuerung von Otto- und Dieselkraftstoffen

  5. Förderung emissionsarmer Antriebe

  6. Fortschreibung der LKW-Maut

    Alle Maßnahmen sind geeignet, um eine relevante Senkung der NO2-Belastung zu bewirken. Für ihre Einführung bedarf es jedoch erst noch der Schaffung eines entsprechend bundesgesetzlichen Rahmens bzw. der Auflegung von Förderungsprogrammen.

    Bei einer Fortschreibung der Umweltzonenregelungen wäre maßgeblich, dass zukünftig nur noch Dieselfahrzeuge mit geringen NOx-Realemissionen die Einfahrt gestattet wird.

    Mit der Angleichung der Energiebesteuerung könnte ein Mindestpreis pro Liter Kraftstoff festgelegt werden und die erzielten Mehreinnahmen bspw. mit einer Förderung von Elektromobilität oder anderen Maßnahmen zur Änderung des Modal Split verbunden werden. Die Zunahme des Radverkehrs würde zu einer Abnahme des Verkehrsaufkommens und damit zu einer Senkung der NO2-Belastung beitragen.

    Von den derzeit den Kommunen zur Verfügung stehenden Minderungsmaßnahmen gehen die höchsten Potenziale von der Verstetigung des Verkehrs und der Reduzierung der Verkehrsmenge aus.

    So hat die Stadt Berlin berichtet, dass durch die Einführung von Tempo 30 und dem dadurch bewirkten besseren Verkehrsabfluss für die Luftreinehalteplanung Verbesserungen in der NO2-Minderung erreicht werden konnte. Diese Maßnahme sollte zukünftig stärker in Betracht gezogen werden.

    Das Verkehrsaufkommen kann zudem durch rechtlich zulässige Verkehrsbeschränkungen, und Änderungen des Modal Split, z. B. Ausbau des Radwegenetzes u. a. mit Radschnellwegen oder durch Verkehrsverlagerungen, gesenkt werden.



3. Was unternimmt die Landesregierung, um die betroffenen Städte dabei zu unterstützen, die Grenzwerte der EU einzuhalten und ein Vertragsverletzungsverfahren zu vermeiden?


Den niedersächsischen Kommunen ist mit der ZUS LLG des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Hildesheim eine starke Unterstützung für ihre Luftreinhalteplanung zur Seite gestellt.


Die ZUS LLG bietet den Kommunen insbesondere Modellberechnungen für die zu erwartende örtliche Luftschadstoffbelastung, die Minderungswirkung von Maßnahmen, Verkehrszählungen und gezielte Luftschadstoffmessungen an. Durch diese Unterstützung wird vermieden, dass die Kommunen kostenintensive Gutachten in Auftrag geben müssen.


Von der ZUS LLG werden regelmäßige Dienstbesprechungen mit den von den NO2-Überschreitungen betroffenen Kommunen unter Beteiligung des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz durchgeführt. Es wird über aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse auf Bund-Länder-Ebene informiert, auf die bestehende NO2-Belastung und auf mögliche Minderungsmaßnahmen eingegangen.


Die ZUS LLG nahm beim Verfahren der Fristverlängerung zur Einhaltung des NO2-Grenzwertes eine zentrale Rolle ein. Sie koordinierte insbesondere die Erstellung der notwendigen umfangreichen Unterlagen und berechnete die Minderungswirkung der von den Kommunen vorgeschlagenen Maßnahmen. Dieser Einsatz hat sicherlich dazu beigetragen, dass alle beteiligten Kommunen eine Fristverlängerung in Anspruch nehmen konnten.


Zwischen dem damaligen Oberbürgermeister der Stadt Hannover Stephan Weil und dem damaligen Umweltminister Hans-Heinrich Sander ist im Jahr 2010 eine enge Zusammenarbeit vereinbart worden, um praktikable und bürgernahe Lösungskonzepte zur Einhaltung der NO2-Grenzwerte zu erarbeiten. Die Arbeitsgruppe hat ihren dritten Bericht im November 2015 vorgelegt und ist zu dem Schluss gekommen, dass die bestehenden Minderungsmaßnahmen nicht ausreichen, um den NO2-Jahresgrenzwert einzuhalten.


Die betroffenen Kommunen sind bereits über die zu erwartende NO2-Überschreitung im Jahr 2015 wiederholt informiert worden. Mit ihnen wird am 06.04.2016 im Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz eine Besprechung mit Herrn Minister Wenzel stattfinden. Dort werden von der ZUS LLG die evaluierten Messergebnisse für das Jahr 2015 vorgestellt, die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Luftreinhalteplanung präsentiert und die weitere Vorgehensweise abgestimmt.


Die Landesregierung wird sich dafür einsetzen, dass durch die notwendigen Gesetzesänderungen auf Bundesebene den Kommunen wirkungsvolle Minderungsmaßnahmen zu Verfügung gestellt werden.





Artikel-Informationen

erstellt am:
10.03.2016
zuletzt aktualisiert am:
11.03.2016

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