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Antwort auf die mündliche Anfrage zu: Standort Braunschweig-Thune

Der Niedersächsische Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Stefan Wenzel hat namens der Landesregierung auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Christoph Bratmann und Marcus Bosse (SPD) geantwortet.

Vorbemerkung der Abgeordneten

Das Nebeneinander von Wohnbebauung und Gewerbetrieben, welche radioaktives Material verarbeiten, am Standort Braunschweig-Thune war bereits mehrfach Gegenstand der örtlichen Kommunalpolitik wie auch der Landespolitik.

Aktuell ist der gemeinsame Versuch von Politik und Verwaltung in Braunschweig, den Nutzungskonflikt zwischen den Gewerbebetrieben auf der einen Seite und der Wohnbebauung in den angrenzenden Ortsteilen auf der anderen Seite über einen Bebauungsplan zu entschärfen, beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg gescheitert.

Das OVG Lüneburg hat in seiner Urteilsbegründung festgestellt, dass seitens der Stadt Braunschweig kein Versuch unternommen werden kann, über einen Bebauungsplan das unterhalb der Regelungsmechanismen der Strahlenschutzverordnung liegende „Restrisiko“ weiter zu minimieren. Insofern kann, fußend auf dem Urteil, festgestellt werden, dass die Stadt Braunschweig keine Möglichkeit hat, über das Planungsrecht dem Ziel des besseren Schutzes der Bevölkerung und einer besseren Vereinbarkeit zwischen Gewerbenutzung und Wohnbebauung, näher zu kommen.

In der Diskussion ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass es Aufgabe des Umweltministeriums sei, zum einen die Genehmigungslage nachvollziehbar zu dokumentieren und zum anderen zeitnah zu prüfen, in welchem Umfang eine Reduzierung der Umgangsgenehmigung erfolgen kann.

Dazu soll nicht nur, wie im Moment in Vorbereitung, eine detaillierte Störfallanalyse durchgeführt werden, sondern vielmehr ein Stresstest, der die explizit am Standort Thune vorhandene spezifische Situation des Nebeneinanders von Betrieben, die mit radioaktiven Stoffen umgehen, und einer Wohnsiedlung bewertet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Der Schutz des Menschen und der Umwelt vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung wird in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) geregelt. Diese enthält die Grundsätze und Anforderungen für die Vorsorge- und Schutzmaßnahmen, die bei der Nutzung und Einwirkung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung zivilisatorischen und natürlichen Ursprungs Anwendung finden. So sind im Abschnitt 4 „Schutz von Bevölkerung und Umwelt bei Strahlenexpositionen aus Tätigkeiten“ die Grenzwerte von 1 mSv im Kalenderjahr sowie der Grenzwert für Ableitungen radioaktiver Stoffe über Luft oder Wasser von je 0,3 mSv im Kalenderjahr für eine Einzelperson der Bevölkerung festgelegt. Der § 50 StrlSchV enthält Vorgaben zur Begrenzung der Strahlenexposition als Folge von Störfällen. Der Nachweis, dass die im § 50 StrlSchV i. V. m. den Übergangs­vorschriften gemäß § 117 Abs. 16 StrlSchV genannten Störfallplanungswerte eingehalten werden, erfolgt im Rahmen einer Störfallanalyse. Die Störfallexposition ist so zu begrenzen, dass die durch Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umgebung verursachte effektive Dosis von 50 mSv nicht überschritten wird.

Als Störfall wird ein Ereignisablauf bezeichnet, bei dessen Eintreten der Betrieb der Anlage oder die Tätigkeit aus sicherheitstechnischen Gründen nicht fortgeführt werden kann und für den die Anlage auszulegen ist oder für den bei der Tätigkeit vorsorglich Schutzvorkehrungen vorzusehen sind (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 28 StrlSchV).

Das Störfallspektrum, d. h die für die jeweilige Anlage zu unterstellenden Störfälle sind anlagenspezifisch festzulegen. Zum Störfallspektrum zählen beispielsweise der Brand in Gebäuden, der Gebindeabsturz, das Erdbeben, das Versagen von Behältern und der Absturz eines Kleinflugzeugs. Die Genehmigungsbehörde legt unter Berücksichtigung des Einzelfalls, insbesondere des Gefährdungspotenzials der Anlage und der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Störfalls Art und Umfang der Schutzmaßnahmen fest.

Als Konsequenz aus den Vorkommnissen in Fukushima hielt das damalige Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit es für erforderlich, nicht nur eine Robustheitsprüfung für deutsche Kernkraftwerke, sondern auch einen Stresstest für die Anlagen und Einrichtungen zur Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle in Deutschland durchzuführen. In dem von der Entsorgungskommission (ESK) durchgeführten Stresstest sollte geprüft werden, wie sich die Anlagen und Einrichtungen bei auslegungsüberschreitenden Belastungen verhalten, und ob durch das Versagen von Komponenten oder Maßnahmen ein sprunghafter Anstieg der radiologischen Auswirkungen außerhalb der Anlage (cliff-edge-Effekt) absehbar ist. Als Basis hat die ESK typisierte Schadensbilder definiert, die grundsätzlich jenseits der in die Störfallanalysen einzubeziehenden Ereignisabläufe liegen. Dabei wurde nach drei Arten von Einwirkungen unterschieden:

  • thermische Einwirkungen durch einen länger andauernden Brand,

  • mechanische Einwirkungen auf Abfallgebinde, wobei hier zwischen einer punktförmigen und einer großflächigen Einwirkung mit unterschiedlichem Energieeintrag unterschieden wird,

  • Einwirkungen von Wasser infolge einer Flutwelle oder Überflutung, wobei auch der Ausfall von Medien wie der Stromversorgung in die Untersuchungen einzubeziehen ist.

    Der Stresstest hat in der Strahlenschutzverordnung keine Grundlage; er ist nicht Genehmigungsvoraussetzung.

1. Wie ist aktuell der Sachstand hinsichtlich der Überprüfung der Umgangsgenehmigungen?

Für den bestimmungsgemäßen Betrieb erfolgt die Überprüfung der Einhaltung der Grenzwerte unter Zugrundelegung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV) zu § 47 StrlSchV „Ermittlung der Strahlenexposition durch Ableitung radioaktiver Stoffe aus Anlagen und Einrichtungen“ vom 28. August 2012. Die Unterlagen hierzu wurden Anfang 2016 von der Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH im Rahmen einer Neubewertung der Strahlenexpositionen durch Ableitungen vorgelegt und werden von dem zugezogenen unabhängigen Sachverständigen entsprechend dem Stand von Wissenschaft und Technik geprüft. Es liegen Zwischenergebnisse vor, eine abschließende gutachterliche Stellungnahme steht noch aus.

Für den Produktionsstandort der Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH in Braunschweig wurde die Störfallanalyse im Oktober 2012 aktualisiert. Hierbei wurden auch die für die Bewertung maßgeblichen Unterlagen zum Nachweis der Begrenzung der Strahlenexposition gemäß § 50 StrlSchV vorgelegt. Im Auftrag des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Braunschweig wurde die Begutachtung der Unterlagen durch einen Sachverständigen nach § 20 Atomgesetz (AtG), der TÜV NORD EnSys Hannover GmbH & Co. KG, im Juni 2013 vorgenommen. Zur Abarbeitung der Empfehlungen aus der Begutachtung der Störfallanalyse hat die Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH sukzessive bis zum Juli 2015 weitere Unterlagen vorgelegt. Diese Unterlagen werden seit Ende 2015 von dem nach § 20 AtG zugezogenen Sachverständigen, der TÜV SÜD Industrie Service GmbH dahingehend bewertet, inwieweit die Empfehlungen durch die vorgelegten Nachweise umgesetzt sind bzw. umgesetzt werden können. Die zuletzt vorgelegten Unterlagen wurden von der Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH mit Schreiben vom 24.11.2016 eingereicht und befinden sich zurzeit in der Prüfung. Es liegen Zwischenergebnisse vor; eine abschließende gutachterliche Stellungnahme liegt bis dato nicht vor.

2. In welchem Maß kann das Ziel erreicht werden, die in der Umgangsgenehmigung der Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH festgelegten Grenzwerte deutlich zu reduzieren?

Die Grenzwerte sind, wie oben ausgeführt, in der Strahlenschutzverordnung geregelt. In der strahlenschutz­rechtlichen Genehmigung werden Genehmigungswerte z. B. für die Ableitung von radioaktiven Stoffen mit Luft oder Wasser aufgenommen, um deren Einhaltung sicher zu stellen. Die festgelegten Ableitungswerte sind Gegenstand der aktuellen Überprüfungen durch das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz (MU) unter Beteiligung der zugezogenen Sachverständigenorganisation. Nach dem derzeitigen Stand der Überprüfung kann im Ergebnis festgestellt werden, dass eine deutliche Reduzierung der Ableitungswerte für Luft für die Jodnuklide erfolgen wird. Die Prüfungen hierzu sind jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen. Für den Abwasserpfad sind von der Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH noch weitere Berechnungsunterlagen zu erstellen und werden kurzfristig erwartet.

3. Ist ein Stresstest, welcher die spezifische Situation am Standort Thune berücksichtigt, geplant, und, wenn ja, wann ist mit einer Durchführung zu rechnen?

Die Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH wurde im durchgeführten „ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in DeutschlandTeil 2“ betrachtet. Die Untersuchungen der ESK waren wegen der Mindestabstände zur nächsten Wohnbebauung und wegen der Möglichkeit des Zusammenwirkens von Freisetzungen radioaktiver Stoffe von der Firma GE Healthcare Buchler GmbH & Co. KG durch anlagenspezifische Modellierungen zu vertiefen. Dementsprechend wurde vom Umweltministerium die TÜV NORD EnSys Hannover GmbH & Co. KG mit zusätzlich Betrachtungen beauftragt, die in Verbindung mit der Überprüfung der Störfallanalyse zwischenzeitlich erfolgt sind. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die mit der Störfallanalyse betrachteten Ereignisse die entsprechenden von der ESK typisierten Schadensbilder abdecken. Nur für das von der ESK betrachtete Ereignis „großflächige mechanische Einwirkung/Absturz eines Dachbinders auf die Abfallgebinde“ sind in der Störfallanalyse keine Aussagen enthalten. Daher wurden von der Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH für dieses Ereignis weitergehende Betrachtungen in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse inzwischen vorliegen. Eine gutachterliche Stellungnahme hierzu steht noch aus.

Artikel-Informationen

erstellt am:
07.04.2017

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